Tessa Ganserer sitzt für uns GRÜNE Bayern im Bundestag – als eine der ersten offen transgeschlechtlichen Abgeordneten. Sie erzählt uns, wie sie die ersten 100 Tage in Berlin erlebt hat, was ihre Ziele sind und was der International Transgender Day of Visibility am 31. März für sie bedeutet.
Tessa, zusammen mit Nyke Slawik bist du die erste Abgeordnete im Bundestag, die öffentlich zu ihrer Transgeschlechtlichkeit steht. Was ist das für ein Gefühl?
Tessa Ganserer: Die Nachricht über den Einzug von Nyke und mir in den Deutschen Bundestag ging um die ganze Welt. Diese Tatsache, dass wir im Bundestag für Sichtbarkeit sorgen, ist ein wahnsinnig wichtiges Signal. Zum einen für mehr Akzeptanz in der ganzen Gesellschaft. Zum anderen weiß ich, dass diese Sichtbarkeit unheimlich vielen Menschen Mut macht, sie empowert. Mit Sichtbarkeit ist es aber nicht getan. Die rechtlichen Benachteiligungen, wie das Transsexuellengesetz, müssen abgeschafft werden. Der Staat muss für ein gutes Miteinander in unserer Gesellschaft werben – ohne Diskriminierung. Dadurch kann sich das Leben für transgeschlechtliche Menschen wirklich verbessern.
Du warst zuvor Landtagsabgeordnete in Bayern. Wieso wolltest du nach Berlin wechseln?
Als absehbar war, dass in der letzten Legislaturperiode unter der unionsgeführten Bundesregierung zu Rechten von LSBTIQ* nichts zu erwarten ist, war es für mich unausweichlich, für den Bundestag zu kandidieren. Ich wollte nach 16 Jahren gesellschaftspolitischem Stillstand für andere politische Mehrheiten werben und dort, wo über unsere Rechte entschieden wird, für queere Menschen das Wort ergreifen.
Wie hast du die ersten 100 Tage im Bundestag erlebt?
Die ersten Tage nach dem Wahlsonntag waren geprägt von einem enormen Medienrummel. Danach habe ich die Koalitionsverhandlungen begleitet, mein Berliner Büro aufgebaut und mich im Bundestag eingelebt. Das war eine spannende Zeit. Die wirklich inhaltliche parlamentarische Arbeit hat dann nach der Regierungsbildung so richtig Fahrt aufgenommen.
Welche Projekte und Themen wurden bereits angestoßen? Was war dir am wichtigsten?
Erst einmal ist es für mich eine Ehre, im Umweltausschuss grüne Politik mitgestalten zu dürfen. Mit Steffi Lemke haben wir eine wirklich starke Frau als Umweltministerin, die schon wichtige Pläne für mehr natürlichen Klimaschutz auf den Weg gebracht hat. Wir leisten damit einen entscheidenden Beitrag, um den Ausstoß klimaschädlicher Treibhausgase zu mindern und die natürlichen Ökosysteme zu stärken. Nicht weniger wichtig finde ich das Recht auf Reparatur. Denn es wird nicht reichen, nur auf neue Technologien zu setzen, zum Beispiel im Bereich erneuerbare Energien. Wir müssen hin zu einem wirklich nachhaltigen Wirtschaften und einem nachhaltigen Produktdesign. Und da freut es mich riesig, dass ich als Obfrau für die grüne Bundestagsfraktion im Parlamentarischen Beirat für nachhaltige Entwicklung mitarbeiten darf. Und nicht zuletzt bin ich froh, dass Sven Lehmann als Parlamentarischer Staatssekretär im Familienministerium schon am Selbstbestimmungsgesetz arbeitet.
Was willst du unbedingt noch erreichen?
Am besten all die im Koalitionsvertrag vereinbarten Punkte für einen ökologischen, sozial gerechten Aufbruch und ein gutes gesellschaftliches Miteinander umsetzen.
Für ganz viele Menschen bist du ein großes Vorbild. Was gibst du ihnen mit auf den Weg?
Nun, ich finde es kann nicht allein die Aufgabe von Menschen aus marginalisierten Gruppen sein, sich immer gegen Diskriminierung und Benachteiligung zu wehren. Ich finde, es ist Aufgabe von uns allen, von allen Demokrat*innen, sich für die Grundrechte für alle und für ein gutes gesellschaftliches Miteinander einzusetzen. Und allen Menschen, die heute noch anhand von gruppenbezogenen Merkmalen Benachteiligung erfahren, möchte ich sagen: Ihr seid ok, ihr seid richtig. Euch steht ein Platz in der Mitte der Gesellschaft zu, nehmt ihn bitte für euch in Anspruch.
Auf der einen Seite kämpfst du für Sichtbarkeit und Gleichberechtigung von trans* Menschen im Besonderen und LSBTIQ* allgemein. Auf der anderen Seite bist du auch Fachpolitikerin. Wie kriegst du das „unter einen Hut“, wie möchtest du wahrgenommen werden?
Es ist in der Politik häufig so, dass mensch zu einem speziellen Thema sehr häufig und immer wieder gefragt wird und dass mensch darüber am meisten wahrgenommen wird. Andere Themen, für die mensch nicht minder brennt und hart arbeitet, bekommen oft ungleich weniger Aufmerksamkeit. Ich weiß, dass die meiste Aufmerksamkeit, die mir zuteilwird, queerpolitische Themen betrifft. Das ist ok, so lange ich dabei nicht nur persönlich auf meine Transgeschlechtlichkeit reduziert werde.
Was bedeutet Dir der International Transgender Day of Visibility?
Dieser Tag ist wahnsinnig wichtig für mich. Es ist der Tag, an dem wir auf unsere Erfahrungen und unsere Belange aufmerksam machen. Wir feiern und empowern uns als trans* Community und schöpfen dadurch Kraft, um die restlichen 364 Tage im Jahr trotz der noch häufig vorkommenden Diskriminierungen unser Leben zu leben und uns weiter für unsere Rechte einzusetzen.
Werden trans* Personen in 10 Jahren freier leben können als heute?
Die Gesellschaft ist heute offener als noch vor ein paar Jahrzehnten. Ich weiß, dass ich heute auf den Schultern von Riesen stehe. Viele mutige Vorkämpfer*innen haben sich für unsere Rechte eingesetzt. Sie haben damit auch mir den Weg geebnet, mein Leben zu leben. Wenn ich und wir mit unserem Wirken Gleiches erreichen können, dann bin ich zuversichtlicher, dass die gesellschaftliche Akzeptanz weiter zunehmen wird und es zukünftigen Generationen leichter fällt, ihre Transgeschlechtlichkeit zu leben.
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