Zielvorgaben für Biotopverbund zu schwach und zu schwammig – zusätzliches Gutachten stellt Statusbericht schlechtes Zeugnis aus
Zwei Jahre nach der Annahme der Gesetzesänderungen durch den Bayerischen Landtag am 17. Juli 2019 zieht der Trägerkreis des Volksbegehrens Artenvielfalt – „Rettet die Bienen!“ eine weitere Zwischenbilanz. Können Erfolge bei der Umsetzung der festgelegten Maßnahmen festgestellt werden oder geht die Umsetzung eher schleppend voran? Um die Umsetzung des Volksbegehrens zu evaluieren und voranbringen zu können, hatten ÖDP, LBV, Bündnis 90/DIE GRÜNEN und die Gregor-Louisoder-Umweltstiftung bei der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt Nürtingen-Geislingen (HfWU) ein regelmäßiges Monitoring in Auftrag gegeben. Die HfWU prüft die Auswirkungen der neuen Gesetze anhand von festgelegten Indikatoren. Aus über 80 beschlossenen Maßnahmen wurden 32 Indikatoren abgeleitet, die in unterschiedlichen Abständen je nach Zeitpunkt der Zielsetzung und Datenverfügbarkeit überprüft werden. Für das Jahr 2021 wurden 12 Indikatoren untersucht. Die Bilanz der HfWU dazu fiel erneut durchwachsen aus. Das Besondere in diesem Jahr ist eine zusätzliche wissenschaftliche Bewertung des Statusberichts zum Biotopverbund des bayerischen Umweltministeriums durch die Hochschule Geisenheim.
Auch im zweiten Jahr nach der Annahme der neuen Naturschutzgesetze durch den Landtag setzt sich das Problem der HfWU-Wissenschaftler fort, dass für viele ihrer Indikatoren keine Daten vorhanden sind, was die Auswertungsarbeit erschwert. Gleichwohl konnten sie eine leichte Verbesserung der Datenlage feststellen. Ein Großteil wurde dabei über Landtagsanfragen generiert. „Die Herausforderung, die Maßnahmen des Volksbegehrens zu bewerten bleibt weiterhin bestehen. Wir sind aber optimistisch, dass durch zunehmenden Austausch und Anfragen die Bedeutung der Datenverfügbarkeit erkannt und verbessert wird“, meint Projektleiter Prof. Roman Lenz von der HfWU, der mit seinem Team Angelika Jany und Patrick Kaiser die Bilanz in den nächsten Jahren weiter begleitet. So entwickelten sich zum Beispiel die geförderten Flächen entlang von Gewässern tendenziell positiv, allerdings ist dies momentan anhand der vorhandenen Daten und dem gewählten Indikator für das HfWU-Team nicht abschließend belegbar. Die Wissenschaftler*innen bemängeln dabei auch, dass bei weiteren wichtigen Themen, wie der Neuanlage von Streuobstwiesen, zu wenige Daten für eine Auswertung zur Verfügung stünden. Insgesamt setzte sich das durchwachsene Bild aus dem Vorjahr auch 2021 fort. So erkannten die HfWU-Wissenschaftler*innen in einigen Bereichen gute erste Schritte, in anderen wurden neue Regelungen nicht umgesetzt: Der gute Trend bei der Steigerung des Anteils des Ökolandbaus in Bayern setzt sich fort. Bei einem Ziel von mindestens 20 Prozent bis zum Jahr 2025 lag der Anteil im ersten Quartal 2021 bei 12,5 Prozent. Auch die Optimierung der Förderprogramme für Weidetierhalter kann in diesem Zusammenhang genannt werden, da 2020 für mehr Rinder eine Weideprämie ausgezahlt wurde. Bei der über das Vertragsnaturschutzprogramm (VNP) geförderten „Späten Mahd“ hingegen ist zwar eine Zunahme des Prozentanteils in den letzten drei Jahren zu verzeichnen, dennoch liegt ihr Anteil drei Prozent unter der für 2020 geforderten Zielmarke von zehn.
Da das bayerische Umweltministerium im Mai 2021 den ersten Statusbericht zur Umsetzung des Biotopverbunds als einem der zentralen Elemente des Volksbegehrens veröffentlicht hatte, beauftragte der Trägerkreis in diesem Jahr zusätzlich noch eine unabhängige wissenschaftliche Bewertung des Berichts durch Prof. Eckhard Jedicke von der Hochschule Geisenheim. „Der Statusbericht erlaubt leider keine neutrale Überprüfung der Zielerreichung. Er beinhaltet vor allem diffus formulierte Ankündigungen, die weder zeitlich konkrete Ziele noch Kriterien formulieren, anhand derer die naturschutzfachliche Wirksamkeit nachgewiesen werden könnte. Der Biotopverbund in Bayern braucht ein gut fundiertes Gesamtkonzept mit sehr konkreten, messbaren Zielen und Indikatoren. Dieses muss an repräsentativen Zielarten festgemacht werden, die als Stellvertreter für die gesamte Breite an Biotoptypen dienen. Biotopverbundflächen müssen definierten und nachprüfbaren Qualitätszielen entsprechen, die Wirksamkeit ist mit einem Monitoring nachzuweisen“, so Prof. Eckhard Jedicke.
Für den Trägerkreis ist der Aufbau eines funktionalen Biotopverbunds in Bayern ein entscheidender Schritt für den Naturschutz im Freistaat insgesamt. Die dramatisch zerschnittenen und schrumpfenden Lebensräume für Vögel und Insekten müssen zumindest über einen flächendeckenden Biotopverbund stabilisiert werden. Durch die Klimaüberhitzung brauchen gerade klimasensible Arten einen Biotopverbund, um in günstigere Lebensräume ausweichen zu können. Hierfür ist es unerlässlich, dass geeignete Flächen in den Verbund aufgenommen werden und sich diese vernetzt über den Freistaat erstrecken. Das Volksbegehren hatte 13 Prozent aller unbebauten und unbewaldeten Flächen dafür gefordert. Die Staatsregierung kündigte eine Erhöhung dieser Quote auf 15 Prozent bis zum Jahr 2030 an. Bis 2023 sollten es immerhin zehn Prozent sein. Doch zweieinhalb Jahre nach dem erfolgreichsten Volksbegehren aller Zeiten in Bayern und zwei Jahre nach der Umsetzung des Gesetzes im Landtag bleibt die Staatsregierung aus Sicht des Trägerkreises verbindliche Maßnahmen zur Umsetzung schuldig.
Agnes Becker, Beauftragte des Volksbegehrens und stellv. ÖDP-Landesvorsitzende: „30 Prozent Ökolandbau bis 2030 sind durch das Volksbegehren vorgegeben. Bei den staatseigenen landwirtschaftlichen Flächen, wo dies schon 2020 erreicht sein sollte, liegt man nicht einmal bei zwölf Prozent. Ähnlich bescheiden sieht es immer noch in staatlichen Kantinen aus. Dort liegt der Anteil von Biolebensmitteln immer noch im unteren einstelligen Prozentbereich. 2020 haben die Menschen bewiesen, dass sie gerne ‚bio‘ kaufen, über 20 Prozent Umsatzplus in der Biobranche beweisen das. Auch bei den privaten landwirtschaftlichen Flächen steigt der Bioanteil kontinuierlich an. Nur die Regierung hinkt bisher gewaltig hinterher. Wir sagen: Regional erzeugte Bioprodukte müssen endlich in alle Kantinen der öffentlichen Hand. Bitte Hausaufgaben erledigen.“
Dr. Norbert Schäffer, LBV-Vorsitzender: „Streuobstwiesen gehören zu unseren artenreichsten Lebensräumen überhaupt. Durch das Volksbegehren sollten bestehende Streuobstbestände besser geschützt werden. Es freut uns, dass das Umweltministerium durch das Vertragsnaturschutzprogramm mehr Gelder für den Erhalt von Streuobstwiesen zur Verfügung stellt. Wir begrüßen auch die Ankündigung von Landwirtschaftsministerin Kaniber, in ihrer Regierungserklärung vom 20. Mai 2021, jährlich bis zu 100.000 Streuobstbäume zu verschenken. Jetzt fordern wir – im Rahmen einer umfassenden Streuobstinitiative – das notwendige Personal, die Logistik und das Budget, um die entsprechenden Bäume auch zu pflanzen, zu pflegen und zu nutzen.“
Ludwig Hartmann, Fraktionsvorsitzender BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN im Bayerischen Landtag: „Noch immer kennen wir die Flächen nicht, die nach Meinung der Staatsregierung derzeit den Bayerischen Biotopverbund darstellen sollen. Wir brauchen eine klare quantitative und qualitative Auflistung aller einbezogenen Flächen. Die letzte Ankündigung des Umweltministers Glauber, auch Grünstreifen an Bundesstraßen in den Biotopverbund mit aufzunehmen, unterstreicht, dass das Handeln der Söder-Regierung eine Aneinanderreihung des Nicht-Wissens, Nicht-Könnens und Nicht-Wollens ist. Der wichtigste Baustein für einen funktionierenden Artenschutz ist neben der nachhaltigen Sicherung der natürlichen Lebensräume, die Entwicklung funktionsfähiger, ökologischer Wechselbeziehungen in der Landschaft, sprich ein flächendeckender, bayernweiter Biotopverbund.“
Claus Obermeier, Vorstand der Gregor Louisoder Umweltstiftung: „Das erfolgreiche bayerische Volksbegehren hat in der Folge zumindest kleinere Löcher in die jahrzehntelang feststehende Betonmauern der Pestizidlobby geschlagen und endlich wurde auch auf Bundesebene im Bundesinsektenschutzpaket eigentlich Selbstverständliches in Gesetze gepackt: Hochgiftige Pestizide haben in Naturschutzgebieten und geschützten Biotopen nichts mehr verloren, Glyphosat soll ab 2024 nicht mehr zugelassen sein. Die Bayerische Staatsregierung hatte im Zuge des Volksbegehrens allerdings angekündigt, den Bund bei der Pestizidreduktion weit zu übertreffen und den Einsatz von chemischen Pflanzenschutzmitteln bis 2028 zu halbieren. Hier sind wir gespannt auf die entsprechenden, noch ausstehenden Beschlüsse in Staatsregierung und Landtag.“
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