Freiwilligendienste jetzt stärken!

Beschluss vom Landesausschuss am 12.12.2020

Mehr als 90.000 Jugendliche und junge Erwachsene engagieren sich jedes Jahr im Freiwilligen Sozialen (FSJ) oder Ökologischen Jahr (FÖJ), im Bundesfreiwilligendienst (BFD) oder in den internationalen, europäischen und entwicklungspolitischen Freiwilligendiensten. Seit der Einführung der Freiwilligendienste mit dem Freiwilligen Sozialen Jahr vor über 50 Jahren wurden Strukturen geschaffen, die für junge Menschen abseits von lohnabhängigen Beschäftigungsverhältnissen Möglichkeiten schaffen, sich persönlich weiterzuentwickeln und zu orientieren.

Die angebotenen Stellen für Freiwillige bieten vielfältige Möglichkeiten, soziale und berufliche Kompetenzen zu erwerben und verschiedene soziale und kulturelle Bereiche kennenzulernen. Neben beruflicher Qualifizierung liegt der Fokus auf Persönlichkeitsentwicklung, Identitätsbildung und Empowerment der Freiwilligen. Dabei müssen die Interessen und Bedürfnisse der Freiwilligen im Vordergrund stehen.

Der Doppelcharakter von Bildungsjahr und Orientierungsjahr auf der einen Seite und die Übernahme von sozialer Verantwortung und gemeinwohlorientiertem Handeln auf der anderen Seite machen somit den konzeptionellen Kern dieser Freiwilligendienste aus.

Als BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN wollen wir allen jungen Menschen ermöglichen, einen Freiwilligendienst zu absolvieren. Um dieses Ziel zu erreichen, müssen die Freiwilligendienste an den Bedürfnissen der Jugendlichen und jungen Erwachsenen orientiert zukunftsfähig aufgestellt werden. Dafür sehen wir folgende Leitplanken:

1. Einsatzstellen im Freiwilligendienst sind keine Arbeitsplätze!

Freiwillige dürfen nicht als billige Arbeitskräfte ausgenutzt werden. Wir setzen uns für die arbeitsmarktneutrale Umsetzung der Freiwilligendienste ein. Es gilt zu verhindern, dass durch eine mangelhafte Arbeitsmarktneutralität von Freiwilligendiensten prekäre Lohn- und Beschäftigungsverhältnisse geschaffen werden. Die Tätigkeiten dürfen nicht den Charakter eines klassischen Arbeitsverhältnisses annehmen und nicht in Konkurrenz zu Arbeitsplätzen stehen. Es muss auch sichergestellt werden, dass Freiwillige keine professionellen Fachkräfte im pflegerischen, pädagogischen und im sonstigen Bereich ersetzen. Wir setzen uns dafür ein, den freiwilligen Charakter der Freiwilligendienste deutlich herauszustellen. Junge Freiwillige bedürfen des besonderen Schutzes und der besonderen Fürsorge. Arbeitszeiten und Einsatzstellen müssen so ausgestaltet werden, dass der Charakter der Freiwilligkeit gewahrt bleibt.

2. Persönlichkeitsbildung darf kein Luxusgut sein!

Sinn und Zweck eines Jugendfreiwilligendienstes ist nicht der Tausch von Arbeitskraft gegen Entgelt. Engagement erfolgt hier grundsätzlich ohne die Erwartung einer angemessenen Arbeitsvergütung. Das Vollzeitengagement in Jugendfreiwilligendiensten muss aber für junge Menschen unabhängig von ihrer sozialen Herkunft möglich sein. Das „Taschengeld“ ist so zu bemessen, dass es hierfür die notwendige Grundlage bieten kann, es darf nicht auf Hartz4-Bezüge der Eltern angerechnet werden. Zudem muss sichergestellt werden, dass Freiwilligendienstleistende kostenlos den ÖPNV nutzen können, um nicht durch Kosten für die Anfahrt und den Heimweg vom Einsatzort belastet zu werden.

3. Freiwilligendienste sind kein arbeitsmarktpolitisches Instrument!

Der BFD und die Jugendfreiwilligendienste sind nicht geeignet, jungen Menschen als „Übergangslösung“ mangels des gewünschten Ausbildungs- oder Hochschulplatzes angedient oder aufgedrängt zu werden. Freiwilligendienste müssen ein Lern- und Orientierungsangebot bleiben und müssen deshalb weiter auf Arbeitsmarktneutralität angelegt bleiben. Bei der Weiterentwicklung des Europäischen Freiwilligendienstes zum Europäischen Solidaritätskorps wurde dieser Grundsatz allerdings verwässert. Diese Fehlentwicklung gilt es zu korrigieren.

4. Selbstbestimmtes Lernen ermöglichen.

Die Freiwilligendienste sehen wir als Lern- und Orientierungsorte an. Die Lern- und Orientierungsangebote müssen an den Bedürfnissen der jungen Freiwilligen ausgerichtet sein. Die Bildungsseminartage sind entsprechend der Bedürfnisse der jungen Menschen über die freien Träger zu organisieren. Freiwillige sollen – sowohl in den Einsatzstellen, als auch bei Seminartagen – die Möglichkeit für Teilhabe und Mitbestimmung erhalten. So können Freiwillige in ihrem Freiwilligendienst Selbstwirksamkeit erfahren. Dadurch kann auch gesellschaftliche und soziale Verantwortung befördert werden.

5. Kein Konkurrenzkampf auf dem Rücken der jungen Menschen!

Die Prinzipien der Selbstorganisation von freien Trägern und die Subsidiarität der Zivilgesellschaft setzt eine gleichberechtigte Förderung in den Freiwilligendiensten voraus. Solange die bisherigen unterschiedlichen Förderansätze gelten, werden die aus der Zivilgesellschaft hervorgegangenen Jugendfreiwilligendienste gegenüber dem Bundesfreiwilligendienst benachteiligt. Deshalb gilt es, die Förderung aller nationalen Freiwilligendienste so anzugleichen, dass sowohl den Trägern, den Einsatzstellen, wie den jungen Interessent*innen an einem Freiwilligendienst auch unter Berücksichtigung ökonomischer Gesichtspunkte eine wirklich freie Wahl möglich ist.

6. Die Marke „Freiwilligendienst“ nicht missbrauchen!

Die Bundeswehr bedient sich mit dem neu geschaffenen „Freiwilligendienst im Heimatschutz“ des Renommees der etablierten Freiwilligendienste und untergräbt damit deren Grundsätze wie eine zivilgesellschaftliche Trägerschaft und den Fokus auf persönliche Entwicklung und Orientierung junger Menschen, die in einer militärischen Ausbildung zu kurz kommen. Während Freiwilligendienstleistende monatlich ca. 300 Euro Taschengeld erhalten, beziehen Dienstleistende des „Freiwilligendienstes im Heimatschutz“ eine Vergütung von ca. 1.550 Euro – freiwilliges Engagement lässt sich aber nicht mit einem Arbeitslohn vereinbaren. Wir fordern die Bundesregierung deshalb auf, im Rahmen ihrer eigenen Aktivitäten die Begrifflichkeit des Freiwilligendienstes nicht zu missbrauchen, um Personalgewinnung für die Bundeswehr zu betreiben.

7. Gesellschaftliches Engagement lässt sich nicht verordnen!

In den regelmäßig wiederkehrenden Diskussionen über eine Dienstpflicht für junge Menschen wird immer wieder die Bedeutung für das soziale Zusammenleben, die Versorgung unterstützungsbedürftiger Menschen und der sozialerzieherische Effekt herausgestellt. Der Staat kann Engagement und Freiwilligendienste durch mehr Anerkennung unterstützen, aber der Weg zu mehr Solidarität und Gemeinsinn führt nur über Freiwilligkeit. Ein Pflichtdienst ist zudem keine passende Antwort auf die Herausforderungen des Fachkräftemangels im Gesundheits- und Pflegebereich. Die Freiwilligendienste dürfen hier nicht verzweckt werden. Ein Pflichtdienst kann und darf kein Ersatz für professionelle Tätigkeiten in diesen Bereichen sein. Deshalb wollen wir einen qualitativen Ausbau der Freiwilligendienste und damit mehr jungen Menschen ermöglichen, sich aus eigenem Antrieb und aus freien Stücken für ein gesellschaftliches Engagement entscheiden zu können Inklusion muss deshalb in den Freiwilligendiensten in allen Dimensionen möglich gemacht und entsprechend gefördert werden.

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