Der Kampf um den Erhalt unserer Lebensgrundlagen ist heute so präsent wie zur Gründungszeit der GRÜNEN. Ein Rück- und Rundumblick auf 40 Jahre grüne Umweltschutzgeschichte in Bayern.
„Dieses Silvester im Taxölderner Forst werde ich nie vergessen. Im Hüttendorf wurden Weinzelte aufgestellt, und Hunderte Menschen feierten bei klirrender Kälte das neue Jahr 1986.« So erzählt Christian Magerl, ehemaliger grüner Landtagsabgeordneter, von einem der legendären Kämpfe in der Geschichte der bayerischen Umweltschutzbewegung: Wackersdorf. Doch wie kam es überhaupt dazu, dass so viele Menschen aus allen Schichten der Gesellschaft gemeinsam gegen die Atomkraft demonstrierten?
Um das Jahr 1970 habe es weltweit einen »ökologischen Urknall« gegeben, sagt der Umwelthistoriker Joachim Radkau. Pflanzen- und Insektengifte, überdüngte Böden, Schwermetalle in Gewässern: Die Umweltverschmutzung durch wenig regulierte Industrie und Landwirtschaft wurde vielen Menschen immer stärker bewusst. »Vergiftete Umwelt«, titelte 1970 der SPIEGEL.
Ein neues Bewusstsein
Der Naturschutz hatte sich bis dahin auf den Erhalt einzelner Landschaften, bedrohter Arten und besonderer Naturdenkmäler konzentriert. Die weitreichenden, alle Grenzen überschreitenden Auswirkungen unseres Industrie- und Wirtschaftssystems auf die Natur und den Menschen bewiesen aber: Es musste größer, systemischer, »ökologischer« gedacht werden. Global denken, lokal handeln: Die Umweltschutzbewegung war geboren. Zahlreiche Bürgerinitiativen gründeten sich, auch der bereits 1913 gegründete Bund Naturschutz wurde politischer – und der Umweltschutz brauchte eine starke Stimme im Parlament.
Tatsächlich grünte es in dieser Zeit auch partiell in der CSU: 1970 erhielt Bayern das europaweit erste Umweltministerium, im selben Jahr wurde mit dem Bayerischen Wald der erste Nationalpark Deutschlands eröffnet. Ab 1972 unterband der Alpenplan weitere Erschließungen in den bayerischen Bergen. Im Zweifel ordnete die CSU den Umweltschutz jedoch stets dem Wirtschaftswachstum unter. Schon ab den 1950er-Jahren hatte die Flurbereinigung die Felder aufgeräumt, Straßennetz und Autoverkehr wuchsen stetig an, gigantische Infrastrukturprojekte wie der Rhein-Main-Donau-Kanal wurden gebaut und Flüsse auch andernorts in Betonwannen gezwängt. Den Energiehunger stillte man anfangs vor allem mit Erdöl, nach der Ölkrise 1973 setzte die Staatsregierung verstärkt auf die Atomkraft – womit wir wieder bei Wackersdorf wären.
Ein WAAhnsinns-Protest
Die Anti-AKW-Bewegung kam in Bayern spät an, dann aber mit voller Wucht: Gegen den Willen der Bevölkerung sollte im Landkreis Schwandorf eine atomare Wiederaufbereitungsanlage (WAA) gebaut werden. 1985 nahm der Protest in der Oberpfalz und ganz Bayern Fahrt auf. Eine wichtige Rolle spielte der Schwandorfer Landrat Hans Schuierer, der seine Unterschrift unter den Bebauungsplan verweigerte. Über den Jahreswechsel wurde der Taxölderner Forst besetzt, der für die WAA gerodet werden sollte. 1986 jagte ein Demo-Rekord den nächsten: 100.000 Demonstrierende an Ostern, 120.000 im Juli beim »Anti-WAAhnsinns-Festival« mit Stars wie Herbert Grönemeyer, Rio Reiser und den Toten Hosen. Der Super-GAU von Tschernobyl im April machte den Demonstrant*innen die Dringlichkeit noch deutlicher. Auf die Proteste für eine atomfreie Welt reagierte der bayerische Staat mit großer Härte. Und das, obwohl die überwiegende Mehrheit der Demonstrierenden friedlich war und aus allen Teilen der Gesellschaft stammte. Bald ging es in Wackersdorf auch um das Durchsetzen bürgerlicher Freiheitsrechte und das Grundversprechen unserer Demokratie: »Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus.«

881.000 Menschen erhoben Einwendung gegen den Bau der WAA. Die GRÜNEN bringen diese gesammelt zur Staatsregierung. © Kirsten und Robert Müller
Bei der Landtagswahl am 12. Oktober 1986 war die Zeit dann reif: 7,5 Prozent der Stimmen erhielten die bayerischen GRÜNEN und zogen erstmals in den Landtag ein, mit 15 Abgeordneten. Christian Magerl war einer von ihnen und brachte Ministerpräsident Strauß am ersten Tag gleich ein Päckchen verstrahltes Heu mit. Ebenfalls Mitglied der ersten grünen Fraktion: der Oberpfälzer Chemiker Prof. Dr. Armin Weiß. Mit seinen Anfragen zur Atomkraft brachte er nicht nur die Staatsregierung immer wieder in Verlegenheit, er motivierte auch die Bürger*innen zum breiten juristischen Protest: 881.000 Einwendungen gingen 1988 gegen die WAA ein. Der neue Ministerpräsident Max Streibl stoppte den Bau schließlich 1989. Was für ein Erfolg für den Umweltschutz und was für eine Bestätigung, dass sich jahrelanger, hartnäckiger Einsatz vieler Aktiver schließlich auszahlt!
Viele weitere Themen prägten die Umweltschutzpolitik in den Regionen: In Niederbayern konnte ein letztes Stück der frei fließenden Donau vor der Staustufen-Kanalisierung gerettet werden. Der Kampf gegen den Rhein-Main-Donau-Kanal ging dagegen verloren, ebenso wie der gegen die Autobahn A94 durch das noch fast unberührte Isental. Gemischt ist die Bilanz beim Flughafen München: Der wurde zwar ins schützenswerte Erdinger Moos verlagert – eine dritte Startbahn ist allerdings bis heute nicht gebaut. Mehrere Generationen grüner Umweltschützer*innen waren daran maßgeblich beteiligt, von Christian Magerl bis zur heutigen Fraktionsvorsitzenden Katharina Schulze.
Dem Protest gegen naturzerstörende Großprojekte stand aber stets auch die grüne Begeisterung für alternative Konzepte gegenüber, zum Beispiel für sauberen Strom aus Sonne und Wind. Während bayerische Aktivist*innen in den 1980ern noch die Energiewende von unten vorantrieben und selbst Solarkollektoren bauten, wurde sauberer Strom ab 1998 auch politisch gefördert: »Durch vernünftige Rahmenbedingungen der rot-grünen Bundesregierung setzen wir in Bayern ökologische Politik um. Bayern profitiert trotz eigener schwarzer Dauerregierung.« So beschrieb Ruth Paulig, langjährige grüne Landtagsabgeordnete und prägende Figur grüner Umweltpolitik, 2004 die Folgen der grünen Regierungsbeteiligung im Bund. Inzwischen lahmt die Energiewende wieder; die 10-H-Regelung hat den Ausbau der Windenergie in Bayern de facto gestoppt. Einen langen Atem im Umwelt- und Klimaschutz gibt es eben nur mit Grün.
Grüne Ideen – gemeinsam mit den Bürger*innen
Neben den detaillierten grünen Gesetzentwürfen – die meist von der CSU-Mehrheit abgelehnt wurden – war die Volksgesetzgebung ein weiteres Mittel, um die Umweltpolitik auch aus der Opposition voranzubringen. Das Volksbegehren »Das bessere Müllkonzept in Bayern« schaffte es bis zum Volksentscheid. Auch der übermäßige Flächenverbrauch in Bayern beschäftigt die GRÜNEN schon lange. Gerhard Polt brachte es 1988 auf den Punkt: »Was man liebt, die Heimat, das asphaltiert man doch nicht ständig!« Wie Polt denken nicht nur die GRÜNEN, sondern viele Bürgerinnen und Bürger Bayerns: So haben wir mit großem Erfolg das Volksbegehren »Betonflut eindämmen – damit Bayern Heimat bleibt« gestartet. In kurzer Zeit kamen 48.225 Unterschriften zusammen, auch von bekennenden CSUler*innen gab es viel Zuspruch. Aus formellen Gründen wurde das Volksbegehren im Juli 2018 gestoppt; doch am 14. Oktober 2018 fuhren die bayerischen GRÜNEN mit 17,6 Prozent das beste Landtagswahlergebnis ihrer Geschichte ein. Um die 190.000 Wähler*innen waren dabei von der CSU herübergewechselt.

Beim „Bienenchor“ für das Volksbegehren Artenvielfalt auf dem Münchner Marienplatz
Und dann war da noch das erfolgreichste Volksbegehren in der Geschichte Bayerns: 1,75 Millionen Menschen stellten sich Anfang 2019 in langen Schlangen vor ihren Rathäusern an, um für das Volksbegehren Artenvielfalt »Rettet die Bienen!« zu unterschreiben. Sie verschafften Bayern damit eines der fortschrittlichsten Naturschutzgesetze in Europa. Die bayerischen GRÜNEN unterstützten das Volksbegehren von Anfang an. Und viele weitere kamen hinzu, darunter auch landwirtschaftliche Verbände – ein wichtiger Grund für den Erfolg. Eine naturverträgliche Landwirtschaft gemeinsam mit den Bäuerinnen und Bauern zu erarbeiten, das ist spätestens seit dem legendären Landesvorsitzenden und einstigen Waginger Bürgermeister Sepp Daxenberger grüne Politik.
Gemeinsam sind wir stark
Am erfolgreichsten war die Umweltschutzbewegung, wenn sich ein breites Bündnis aus Zivilgesellschaft, Verbänden und Parteien gemeinsam engagierte – und wenn sie einen langen Atem hatte. Wenn dann nach jahrelanger Vorarbeit das gesellschaftliche Bewusstsein erst einmal da ist, kann es schnell gehen mit den Veränderungen. Umso wichtiger ist es, solche »Zeitfenster des Bewusstseins« zu nutzen – zum Beispiel für die Bewältigung der Klimakrise. Zum Glück gibt es viele Gründe, optimistisch zu sein, sagt Toni Hofreiter, grüner Fraktionsvorsitzender im Bundestag: »Sozial und technologisch haben wir schon viel vorangebracht. Von erneuerbaren Energien und dem Umbau von Mobilität und Landwirtschaft bis zu einer echten Kreislaufwirtschaft: Der Einstieg ist geschafft, viele Lösungen liegen auf dem Tisch.«
Jetzt müssen wir diese Lösungen in die Tat umsetzen: Das fordern heute viele junge Menschen mit Nachdruck, bei Fridays for Future und anderswo. Mirjam Körner, Sprecherin der GRÜNEN JUGEND Bayern, beschreibt es so: »Klar, nicht jeder einzelne Kampf kann gewonnen werden. Aber dieses Glücksgefühl, sich mit anderen bei einer Demo oder Aktion für ein gemeinsames Ziel eingesetzt zu haben, dieses Gemeinschaftserlebnis – das ist alleine schon unglaublich viel wert und motiviert, weiter für echten Klimaschutz zu kämpfen.«
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