Dr. Ulrike Bechtel leitet das Nierenzentrum an der Kreisklinik St. Elisabeth in Dillingen und war bis Ende 2020 dort auch Chefärztin für Innere Medizin. Sie entwickelte ein Ausbildungskonzept für Landärzt*innen, das deutschlandweit Vorbild ist. Unsere Parteivorsitzende Eva Lettenbauer sprach mit ihr per Videokonferenz über die Corona-Krise und darüber, was es für eine gute Gesundheitsversorgung auf dem Land braucht.
Eva Lettenbauer: Vielen Dank, dass Sie sich mitten in der Corona-Krise Zeit für ein Gespräch nehmen! Wie haben Sie die Pandemie bisher erlebt?
Was ist Ihre Botschaft an diejenigen, die die bedrohliche Situation aktuell nicht so deutlich sehen?
Dr. Ulrike Bechtel: Die erste Welle im Frühjahr hat viel Kraft und Zeit gekostet. Um die Sicherheit aller Patienten zu gewährleisten, mussten wir das Krankenhaus neu organisieren, mehr Platz für Infizierte schaffen und Betten für Verdachtsfälle freihalten. Auf diese Pläne konnten wir im zweiten Lockdown zurückgreifen. Auch die Lager für Schutzausrüstung sind besser gefüllt als im Frühjahr 2020. Insofern sind wir gut vorbereitet – wir sind uns des Ernstes der Lage aber auch sehr bewusst.
Dieses Virus nutzt jeden Menschen, den es kriegen kann, als öffentliches Verkehrsmittel. Vor allem in privaten Räumen, wenn wir die Masken abnehmen und uns sicher fühlen, übertragen wir das Virus leicht. Es kommen jetzt täglich Menschen zu uns in die Kreiskliniken, die an Covid-19 erkrankt sind. Ich appelliere an alle: Bitte denken Sie an die Menschen, die daran sterben können oder wochenlang um Luft ringen – und denken Sie an das medizinische Personal. Wer soll sich um die Patienten kümmern, wenn wir uns infizieren? Wir müssen alle weiterhin Maske tragen, vernünftig sein und Kontakte minimieren.
Danke für Ihre eindringlichen Worte! Ich sehe es wie Sie: Unser aller Solidarität ist weiter dringend gefragt. Wie ist es jenseits von Corona aus Ihrer Sicht um die Gesundheitsversorgung in Bayern bestellt? Vor allem die Entwicklung auf dem Land beobachten wir Grüne mit Sorge, Hausärzt*innen finden dort oft keine Nachfolge mehr.
Im ganzen medizinischen System sind zu wenige Menschen für die Arbeit, die zu tun ist, und besonders auf dem Land fehlt es an ärztlichem Nachwuchs. Wenn junge Mediziner nach einem langen Studium in der Großstadt ihren Abschluss haben, bleiben sie meist dort, weil auch in der Stadt viele Stellen offen sind. Als ich 2008 in Dillingen als Chefärztin angefangen habe, haben wir schlicht keine Assistenzärzte mehr gefunden – so konnten wir auch keine gut ausgebildeten Mediziner mehr an die ländlichen Hausarztpraxen übergeben. Wir mussten uns also etwas innovatives Neues überlegen, um attraktiver zu werden.
Sie haben dann die „Medizinische AKADemie“ entwickelt, ein innovatives Ausbildungsprogramm für Landärzt*innen. Verraten Sie uns: Wie gelingt es, junge Ärztinnen und Ärzte für den Landarztberuf zu begeistern?
Wir machen den jungen Menschen den Einstieg so leicht wie möglich und geben ihnen Sicherheit. Wir bieten eine exzellente praxisnahe Ausbildung und trauen es den jungen Leuten von Anfang an zu, direkt an den Patienten zu arbeiten – natürlich nicht alleine, sondern mit einer Eins-zu-eins-Betreuung durch erfahrende Fachärztinnen und -ärzte. Die helfen zum Beispiel ganz konkret, die Hand beim Ultraschall zu führen. Denn nur vom Zuschauen allein lernt man schlecht. In meiner Assistenzzeit hätte ich mir Manches davon auch gewünscht – als Assistenzärztin stehen Sie in großen Kliniken bei der Visite oft in der dritten Reihe und können froh sein, wenn Sie überhaupt etwas sehen.

Und was kann die Politik beitragen, damit es mehr Landärzt*innen gibt?
Wir brauchen mehr Medizinstudienplätze – es gibt heute weniger als vor der Wiedervereinigung, dabei müssen wir mehr und immer ältere Menschen versorgen. Und wir brauchen weniger Bürokratie: Wir verbringen zu viel Zeit mit Dokumentieren, ohne dass die Qualität der Patientenbehandlung davon profitiert.
Schließlich brauchen wir im ländlichen Bereich auch weiterhin kleine Kliniken – um kurze Anfahrtswege für Notfälle zu haben, aber eben auch für die Ausbildung der Landärzte, denn die funktioniert nur hier vor Ort. Die neue Landarztquote finde ich übrigens gut; sie ermöglicht jungen Leuten auch ohne Top-Abitur ein Medizinstudium, wenn sie sich langfristig für die ärztliche Tätigkeit auf dem Land verpflichten. Ich würde die Quote sogar ausweiten auf alle medizinischen Basisversorgungsfächer: auf die Kinderheilkunde, Innere Medizin, Chirurgie, Anästhesie und die Gynäkologie.
Dass sich junge Menschen im Rahmen der Quote so früh auf einen Wohnort festlegen müssen, finde ich allerdings schwierig. Ich würde gerne das Leben auf dem Land als solches attraktiver machen, zum Beispiel mit flächendeckend schnellem Internet und einem öffentlichen Nahverkehr, auf den Verlass ist – und mit dem man auch Krankenhäuser und Praxen besser erreicht. Sehr wichtig ist mir auch, die interdisziplinäre Zusammenarbeit zu stärken: Ich finde, wir müssen die strikte Trennung zwischen niedergelassenen Ärzt*innen und Krankenhäusern aufheben. Wie eng arbeiten Sie denn als Kreiskrankenhaus mit den Praxen zusammen?
Unser Ausbildungskonzept ist genau deshalb so gelungen, weil wir es gemeinsam auf die Beine gestellt haben: Klinik und Niedergelassene, Haus- und Fachärzte. Das ist der Schlüssel für die Versorgung auf dem Land: Wir müssen viel enger sektorübergreifend zusammenarbeiten. Eine integrierte Versorgungsstation an einem kleinen Krankenhaus, in der ich auch eine ambulante Grundversorgung anbieten kann: Das ist eine gute Lösung.
Danke für dieses klare Plädoyer! Gibt es sonst noch etwas, das Sie uns mit auf den Weg geben möchten?
Ja! Ein Krankenhaus wird zu über 80% von Frauen betrieben – Pflege-, Reinigungs- und Verwaltungskräfte, Ärztinnen. Die Führungskräfte dagegen sind fast ausschließlich männlich, ich bin seit Jahren die einzige Chefärztin auf weiter Flur – wir brauchen eine Quote in den chefärztlichen Positionen und im ärztlichen Direktorat.
Vielen Dank für das gute Gespräch und Ihre wichtige Arbeit!
Das Gespräch erschien erstmals in leicht veränderter Form im Mitgliedermagazin der bayerischen GRÜNEN vom Dezember 2020.
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