Beschluss vom digitalen Parteitag am 14.11.2020:
In Deutschland werden jährlich ca. 750 Millionen Tiere geschlachtet. Die allermeisten werden in konventionellen Betrieben gezüchtet und gemästet. Selbst Tiere aus biologischer oder weitgehend tiergerechter Tierhaltung werden im Regelfall in Schlachthöfen geschlachtet, in denen auch Tiere aus konventioneller Tierhaltung getötet werden. Die aller- meisten Schlachthöfe in Deutschland sind „bio“zertifiziert.
Bayern gehört zu den Bundesländern mit den größten Tierbeständen bei Rindern, Schweinen und Geflügel. Gleichwohl werden im Freistaat Betriebe bundesweit am seltensten kontrolliert – im Schnitt alle 48 Jahre, wie eine Bundestagsanfrage der FDP 2018 ergab. Weitere Anfragen, auch der Grünen, ergaben, dass in rund 20% der Kontrollen Verstöße festgestellt werden, aber nur in 20% dieser Fälle überhaupt Maßnahmen eingeleitet werden. Bei allen anderen Verstößen kommen die Verursacher*innen mit der Aufforderung zur Behebung davon.
Laut Strafrechtler Prof. Jens Bülte, Universität Mannheim, wird kein Gesetz so oft gebrochen, wie das Tierschutzgesetz (TSchG). Die konventionelle Tierhaltung in Deutschland befindet sich in der Regel permanent in einem Rechtsbruch, seit Jahrzehnten. Das Kupieren von Schweineschwänzen und Schnäbeln von Geflügel, die betäubungslose Kastration männlicher Ferkeln durch Landwirt*innen, die Haltung von Zuchtsauen in Kastenständen – all das ist mehrfach gerichtlich bestätigter Verstoß gegen geltendes Recht. Hinzu kommen Verstöße gegen die Aufsichtspflicht, durch Nicht-Versorgung und -Behandlung kranker Tiere, die oft tierschutzgesetzwidrig zur Schlachtung gebracht werden, (z.B. Schweine mit Gelenkverletzungen und -entzündungen, die bei über 90% der Tiere bei der Schlachtung festzustellen sind) und bei Schlachtungen mit mangelhafter Betäubung. Laut einer Anfrage der Grünen im Bundestag von 2012 werden bis zu neun Prozent der Rinder nicht richtig betäubt, bei Schweinen beläuft sich die „Fehlbetäubungsquote“ auf bis zu zwölf Prozent. Bei kleinen Schlachthöfen liegt die Fehlbetäubungsquote bei bis zu 44% (Q: ASS 2018).
Lediglich im Tierschutz wird „Wirtschaftlichkeit“ als Grund bei Verstößen oft strafmildernd ausgelegt und der „vernünftige Grund“ als Rechtsgrundlage für das Töten von Tieren so ad absurdum geführt. Üblicherweise ist „Wirtschaftlichkeit“ im Strafrecht hingegen ein Merkmal von Niedertracht. Nur bei Verstößen gegen das Tierschutzgesetz wirkt sich also Habgier strafmildernd aus.
Unzählige dieser Beispiele von Verstößen gegen das TSchG sind in Bildern, Videos und Berichten belegt. Was ehemals als Einzelfälle bezeichnet wurde, ist regelmäßig seit vielen Jahren eine Aneinanderreihung von Skandalen. Viele Landwirt*innen sorgen sich im Rahmen der Auflagen und oft auch darüber hinaus um ihre Tiere. Die Verstöße aber macht das nicht wett. Oft bleiben Konsequenzen aus oder sind viel zu harmlos. Denn, so Prof. Dr. Jens Bülte: „Wer eine Tierquälerei begeht, wird bestraft, wer sie tausendfach begeht, bleibt straflos und kann sogar mit staatlicher Subventionierung rechnen.“
Die sinnvollste Möglichkeit, all diese Rechtsbrüche zum Leidwesen von fühlenden, intelligenten und sozialen Lebewesen zu minimieren, ist ein funktionsfähiger, effizienter und effektiver Kontrollapparat sowie konsequente und finanziell schmerzhafte Strafen. Neben Bußgeldern sind dies Gewinnabschöpfung sowie Tierhaltungsverbote.
Deswegen setzen wir GRÜNE in Bayern uns auf politischer Ebene und in Mandaten in Kreisen und Städten, Regierungsbezirken und im Landtag für folgende Maßnahmen ein:
- Personelle Aufstockung der Kontrollbehörden wie KBLV (Kontrollbehörde für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen) und Veterinärämtern
- Benennung von hauptamtlichen Tierschutzbeauftragten in allen Landratsämtern
- Deutliche Taktverdichtung von unangekündigten und unabhängigen Kontrollen auch mit Begleitung durch Polizeibeamt*innen, um die Bedrohung von Amtsveterinär*innen auszuschließen
- Wechselnde Betreuungsbezirke, sogenannter „Rotationszwang“ bei Kontrollen, für Amtsveterinär*innen, um persönliche Verbindungen mit Landwirt*innen zu unterbinden
- Deutliche Reduzierung von bloßen Verwarnungen mit dem Ziel einer deutlichen Erhöhung der Anzahl an Bußgeldbescheiden und Strafverfahren bei Verstößen gegen das TSchG
- Schaffung von Schwerpunktstaatsanwaltschaften und Schwerpunktdezernaten in allen sieben Regierungsbezirken
- Rechtliche, psychologische und ethische Schulung aller Beteiligten im tier- schutzrechtlichen Kontrollapparat
- Durchgehende Videoüberwachung beim Schlachtbetrieb an allen Teilstationen mit längerer Speicherung der Daten und Zugänglichkeit für unabhängige Stellen und bestellte Tierschutzbeauftragte, sowie im Verdachtsfall Tierschutzvereinen oder beauftragten Sachverständigen
- Über den Einfluss in Land und Kommunen hinaus: Unterstützung aller Initiativen auf Bundesebene zur Verankerung von Verstößen gegen das Tierschutzgesetz im Strafgesetzbuch, der Strafbarkeit des Versuchs und der Strafverschärfung bei gewerbsmäßigen Verstößen sowie eine Anerkennung massenhafter Verstöße gegen §17 TSchG als organisierte Wirtschaftskriminalität
Quellen:
- https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/landwirtschaft-bei-verstoessen-gegen-tierschutz-riskieren-bauern-wenig-1.4063138
- https://www.zeit.de/wissen/umwelt/2012-06/schlachthof-toetung-bundesregierung
- https://www.zeit.de/arbeit/2018-06/tierquaelerei-betriebe-missstaende-wirtschaftsstrafrecht-interview
- https://albert-schweitzer-stiftung.de/aktuell/kleine-schlachthoefe-fehlbetaeubungen
- https://madoc.bib.uni-mannheim.de/44143/
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