Nachruf zum Tod von Sepp Dürr

Von Katharina Schulze und Margarete Bause

„Ich heiße Sepp, weil ich von hier bin“ hat Sepp Dürr einmal einen Spiegel-Journalisten im Interview wissen lassen. Der hatte sich darüber gewundert, warum unser damaliger Fraktionsvorsitzender so darauf bestand, sich auf seiner offiziellen Landtagsvisitenkarte Dr. Sepp Dürr zu nennen und nicht Dr. Josef Dürr. Die Landtagsverwaltung wollte das zunächst nicht akzeptieren aber Sepp ließ nicht locker und setzte sich schließlich durch. Typisch. „Sepp ist mein Kampfname“ verkündete er fröhlich und das war vor allem eine Kampfansage an seinen Lieblingsgegner, an die CSU. Eine Kampfansage an deren Anspruch zu definieren, was oder wer bayerisch ist. Eine Kampfansage an die damit verbundene Ausgrenzung all dessen, was der Mehrheitspartei nicht in den Kram passte. Seine Identität als Bayer UND Grüner, die ließ er von niemandem in Frage stellen – schon gar nicht von den Schwarzen.

Wer jetzt über das Wort „Kampf“ stolpert, mit dem oder der hätte sich Sepp lustvoll gefetzt. Er verstand sich als Rebell, war angriffslustig, liebte die Provokation und scheute keine Auseinandersetzung. Mit gutem Grund. Denn gegen sein profundes Wissen und seine Wortgewalt kam man nicht leicht an. „In der Politik gibt es nichts umsonst oder geschenkt, alles muss man sich hart erkämpfen“, schrieb er noch im November letzten Jahres in seinem Blog, der – auch das typisch für ihn – „Lust auf Politik“ heißt. Denn von der Lust ließ er sich leiten: Lust am Denken, Lust am Gestalten und Verändern, Lust am Leben.

Die CSU fürchtete seine berühmt-berüchtigten Zwischenrufe.

Sepp kam 1997 zu uns GRÜNEN, zunächst als Stadtrat in Germering. Bei der Landtagswahl 1998 wurde er ins Maximilianeum gewählt und machte sich dort insgesamt 20 Jahre für uns GRÜNE und unsere Ziele stark. Er wirkte in den unterschiedlichsten Ämtern und Funktionen, von 2000 bis 2008 war er Fraktionsvorsitzender, zuerst zusammen mit Christine Stahl, dann mit Margarete Bause in der Doppelspitze. Blitzgescheit und umfassend gebildet wie er war, deckte er eine unglaubliche Breite und Tiefe an Themen ab: Als Biobauer lag ihm natürlich die Landwirtschaftspolitik am Herzen. Ebenso engagiert und fundiert war er aber auch in der Hochschul- und Forschungspolitik, in der Rechts- und Demokratiepolitik, in der Kultur- und Medienpolitikpolitik und beim Kampf gegen Rechts und der Aufarbeitung der Nazi-Verbrechen. Die CSU fürchtete nicht nur seine berühmt-berüchtigten Zwischenrufe, sondern auch seine schonungslose Aufdeckungsarbeit in den Untersuchungsausschüssen zum Landesbankskandal oder zur Laboraffäre.

„Heimat ist immer auch das, was man draus macht“

So leidenschaftlich wie er mit Stoiber, Beckstein, Seehofer & Co zusammenrasselte, so kraftvoll und vorausdenkend engagierte er sich für die Weiterentwicklung unserer grünen Partei.  Sepp hat die blinden Flecken bei uns erkannt und gezielt ins Visier genommen. Nicht allen hat das immer gefallen. Man kann auch sagen: Er forderte seine Partei heraus. Er war der Partei voraus. Und oft auch der Gesellschaft. Mit seinem scharfen Intellekt legte er den Finger in die Wunde – oft auch in Wunden, die andere noch gar nicht wahrgenommen hatten. Dadurch hat er die Gesellschaft in Bayern und die Landespolitik mitgeprägt und verändert. Schon 2006 hat er in seiner Reihe „Geteilte Zukunft Bayern – Chancenarmut in einem reichen Land“ die soziale Ungleichheit in Bayern thematisiert. Den Begriff Heimat hat er sehr früh für uns GRÜNE in Anspruch genommen und mit mehreren legendären Heimatkongressen deutlich gemacht, dass Heimat und Weltoffenheit sich nicht widersprechen, sondern im Gegenteil zusammengehören und sich ergänzen. „Den Heimatbegriff darf man nicht den Rechten überlassen! Heimat ist immer auch das, was man draus macht“, so Sepp.

Er hat uns den Blick geweitet. Für Aspekte, die Zutaten für unser Erfolgsrezept geworden sind. Er hat uns, er hat die GRÜNEN damit zum Wachsen gebracht – und jetzt sind wir zweitstärkste Kraft in Bayern. Er hat uns aber nicht nur inhaltlich und strategisch weitergebracht. So rauflustig er nach außen war, so integrierend war er nach innen. Er konnte zuhören, mitfühlen, vermitteln, befrieden. Er war reflektiert und selbstkritisch und wenn man ihn danach fragte, stand er einem mit Rat und Tat zur Seite. Und: Sepp war ein grüner Mann, der Frauen gefördert hat. Er redete nicht nur von der Gleichberechtigung, er bewies, dass Männer tatsächlich auch Feministen sein können.

Grün sein bedeutet nicht nur öko sein.

Über Kartoffelsetzlinge konnte er genauso gut philosophieren wie über Adorno. Die Feinheiten der bayerischen Hochschulpolitik beherrschte er ebenso wie deftige Bierzeltreden, bei denen der CSU die Ohren schlackerten. Er konnte seine grüne Partei vehement verteidigen, und sich trotzdem in seinem Büchlein „Das alternative Parteibuch“ über sie lustig machen. Er hat den Biobauern nie versteckt und war trotzdem einer der ersten Grünen, der im Dreiteiler – aber mit Haferlschuhen und aufgekrempelten Hemdsärmeln – rumgelaufen ist. Er machte nicht nur Landwirtschaftspolitik, sondern ganz selbstverständlich Gesellschaftspolitik. Für ihn war immer klar: Grün sein bedeutet nicht nur öko sein. Grün sein bedeutet auch immer die gesellschaftliche Dimension mitzudenken. Ohne Gerechtigkeit, ohne Demokratie ist alles andere nichts.

Dass er scheinbar Gegensätzliches perfekt vereinte – das ist das, was Sepp ausgemacht hat. Er war ein Original und damit einzigartig bei den bayerischen GRÜNEN.

Wir verdanken ihm viel und wir vermissen ihn sehr.

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