Bündnis 90/Die Grünen sind die Partei des Rechtsstaats und der Menschenrechte. Alle Menschen haben ein Recht auf ein Leben in Würde und Respekt und ein Recht auf gleiche Chancen. Deshalb ist das Grundrecht auf Asyl unverhandelbar!
Beschluss auf der Landesdelegiertenkonferenz 2024 in Würzburg
Bündnis 90/Die Grünen sind in der Geschichte der Bundesrepublik die Partei, die früher als alle anderen Parteien die Realität des Einwanderungslandes Deutschland anerkannt und daraus politische Maßnahmen abgeleitet hat. Wir wissen, dass die Integration dafür der wichtigste Baustein ist.
Integration gelingt nur im Zusammenspiel: wir als aufnehmende Gesellschaft müssen Integration ermöglichen und die zu uns kommenden Menschen müssen sich auch integrieren wollen!
Notunterkünfte sind weder für die Gesellschaft noch für die Geflüchteten eine wünschenswerte Situation. Wir wollen die Anzahl von Menschen reduzieren, die auf lebensgefährlichen Wegen in Deutschland Schutz suchen müssen. Das geht beispielsweise durch Fluchtursachenbekämpfung, fairere Verteilung, bessere Registrierung an den Außengrenzen oder humanitäre Hilfe in Krisenregionen. Eine ordnungspolitische Begrenzung von Asylanträgen ist in einem Rechtsstaat hingegen nicht möglich.
Wir sehen sehr deutlich:
- Hohe Flüchtlingszahlen sind eine Herausforderung, mit der die Kommunen nicht allein gelassen werden dürfen. Viele Kommunen sind am Rande der Belastungsgrenze angekommen. Sie können die Unterbringung und die Bereitstellung der Infrastruktur mit Schulen, Kita-Plätzen, Integrations- und Sprachkursen und von Wohnraum nicht mehr leisten. Polizei, Behörden, Schulen, Kitas und vor allem die Ehrenamtlichen sind oftmals überlastet.
- Die Bedrohungslage in Bezug auf Terrorgefahr durch Rechtsextremismus, Islamismus und Radikalisierungstendenzen war selten so hoch wie jetzt.
- Wenn wir weiterhin eine offene Gesellschaft bleiben wollen, müssen wir wehrhaft sein gegen diejenigen, die unsere demokratischen Werte bekämpfen. Wir wollen auch diejenigen vor Extremismus schützen, die in unserem Land Zuflucht suchen.
Aber aktuell ist die Migrationsdebatte in Deutschland aus den Fugen geraten.
Abschaffung des Asylrechts, „Remigrationspläne“, Obergrenzen, Einreiseverbot für bestimmte Bevölkerungsgruppen – das sind rechtswidrige Forderungen und es ist an der Zeit, die Debatte mit Realismus und Sachlichkeit zu führen.
Finanzielle und personelle Investitionen in zielführende Integrationsmaßnahmen senken mittelfristig die staatlichen Kosten. Eine effektive, gerechte, menschliche und ganzheitliche Integrationspolitik ist die beste Prävention vor Radikalisierung und Kriminalität und trägt zudem zum Wohlstand und zum sozialen Frieden unserer Gesellschaft bei – denn Deutschland braucht dringend Arbeits- und Fachkräfte!
Menschen mit Fluchthintergrund sind als Pfleger*innen, Gastwirte, Reinigungskräfte, IT-Kräfte oder Ärzt*innen, als Menschen in unserer Mitte nicht mehr wegzudenken. Sie gehören zu Deutschland und sind ein Gewinn für uns alle.
Unsere Forderungen:
- Verfahren beschleunigen
Es braucht mehr Ressourcen bei den Ausländerbehörden sowie in der Justiz, damit Verfahren beschleunigt und effektiver werden. Das Ausländer- und Asylrecht muss weiter vereinfacht und entbürokratisiert werden. Dazu braucht es eine bessere Zusammenarbeit und eine gemeinsame Kraftanstrengung von Bund und Ländern.
- Dezentrale Unterbringung und gleichmäßige Verteilung
Eine menschenwürdige und selbstbestimmte Unterbringung hat großen Einfluss auf eine erfolgreiche Integration. Menschen, die bereits Familienangehörige oder Freunde haben, sollen bei diesen unterkommen dürfen. Damit entlasten wir den Wohnungsmarkt und fördern die Integration von Beginn an. Der unbürokratische Umgang mit den Geflüchteten mit ukrainischer Staatsbürgerschaft hat gezeigt, wie so schnell Entlastung geschaffen werden kann. Die dezentrale Unterbringung ist immer zu bevorzugen. Wenn Menschen die Möglichkeit haben, aus Erstaufnahmezentren, Gemeinschafts- oder Übergangsheimen auszuziehen, muss dies gestattet und unterstützt werden. Immer wieder kommt es vor, das kleine Kommunen mit übergroßen Gemeinschaftsunterkünften konfrontiert werden. Wir setzen uns ein für ein Verteilungsverfahren, dass sich an den individuellen Bedarfen und den Ressourcen der Kommune orientiert. Das schafft sofortige Abhilfe gegen Überforderung.
Für die weitere Unterstützung der Kommunen fordern wir Soforthilfen für die Unterbringung und Versorgung von Geflüchteten in Höhe von 500 Millionen Euro aus dem bayerischen Landeshaushalt.
Die überholten AnkER-Zentren müssen auch in Bayern endlich aufgelöst werden.
- Integration als kommunale Daueraufgabe verlässlich finanzieren
Integration ist eine Daueraufgabe für unsere Kommunen, kein Projekt. Dafür braucht es eine dauerhafte und ausreichende Finanzierung aus Steuermitteln für alle Kommunen, um auf die örtliche Situation angepasste Integrationskonzepte zu erstellen und umzusetzen. Dies wird der Integration Geflüchteter dienen, es wird aber auch die Attraktivität unsere Gemeinden für Arbeitsmigration verbessern. Die Anzahl der hauptamtlichen Integrationsberater*Innen muss bedarfsgerecht erhöht werden, um die Ehrenamtlichen von Routineaufgaben zu entlasten. Überwiegend befristete Anstellungsverhältnisse müssen ersetzt werden durch einen dauerhaften personellen Grundstock für Integrationsaufgaben.
Klare Vorgaben wie einheitliche Integrations- und Wohnkonzepte und feste Standards zu Sprachkursen, Personalschlüsseln, usw. sorgen für mehr Planungssicherheit und eine flächendeckende Kontinuität in der Integrationspolitik. Perspektivisch wollen wir Integration als eine der kommunalen Pflichtaufgaben in Bayern verankern.
- Behörden entlasten und Diskriminierung beenden: Bayerische Bezahlkarte nach dem Hannover-Modell in eine „Social Card“ umwandeln
Sowohl die Beschlüsse des Deutschen Städtetags (26. September 2024) und der Datenschutzaufsichtsbehörde der Länder (Beschluss vom 19.08.2024) als auch zwei Urteile der Sozialgerichte in Hamburg und Nürnberg und machen deutlich, dass die pauschale Beschränkung des Bargeldguthabens bei Bezahlkarten für Asylsuchende auf 50 Euro als zu starr angesehen bzw. als nicht rechtmäßig erklärt werden.
Die Bezahlkarte in Bayern – mit der Möglichkeit, höchstens 50 Euro Bargeld pro Monat zur Verfügung zu haben und der Einsatzbeschränkung auf einzelne Landkreise – behindert die gesellschaftliche Teilhabe und Integration von Asylbewerber*innen und Geflüchteten, indem sie deren Handlungsspielräume unnötig einschränkt und gefährdet ein menschenwürdiges Existenzminimum. Für jede außergewöhnliche Ausgabe (Vereinsbeitrag, Anwaltskosten, ein gebrauchtes Fahrrad, usw.) muss bei den Verwaltungsmitarbeiter*innen persönlich vorgesprochen werden. Die daraus resultierenden, verpflichtenden Einzelfallprüfungen bedeuten einen enormen bürokratischen Mehraufwand und belasten zusätzlich das ohnehin schon oft am Limit arbeitende Verwaltungspersonal. Als sinnvoll erachten wir eine Umwidmung der bayerischen Bezahlkarte in eine so genannte „Social Card“, die bewusst auf eine Bargeldbeschränkung und auf eine Beschränkung auf einzelne Landkreise verzichtet. In der Stadt Hannover hat die bereits Ende 2023 umgesetzte Einführung einer solchen Social Card erheblich zu einer Entlastung der zuständigen Behörde beigetragen und dazu geführt, dass sechs Mitarbeitende des Fachbereichs Soziales nun zusätzlich in anderen Aufgabenbereichen eingesetzt werden können.
- Schnelle Integration in den Arbeitsmarkt
Es war richtig, dass die Bundesregierung den Zugang Geflüchteter in Arbeit beschleunigt hat. Hier fordern wir weitere Erleichterungen, Unterstützungen, Anreize und vor allem den Abbau von Bürokratie. Diese Anreize können auch Angebote zu gemeinnütziger Arbeit (Arbeitsgelegenheiten) als ersten Schritt in die Arbeitsmarktintegration umfassen, sofern die Kommunen und öffentliche Institutionen dies mit vertretbarem Aufwand leisten können und wollen.
Angebotene Sprachkurse in Unternehmen sollen staatlich gefördert werden. Hier möchten wir vor allem das Handwerk und den Mittelstand unterstützen, die jetzt schon unglaublich viel für eine gute Arbeitsmarktintegration leisten.
Geflüchtete Menschen, die zu uns kommen uns selber für ihren Lebensunterhalt sorgen, dürfen nicht mehr abgeschoben werden.
Wer hier arbeitet, studiert oder eine Ausbildung macht, soll bleiben dürfen.
Keine Abschiebungen von Menschen, die einen Arbeits- bzw. Ausbildungsvertrag haben.
- Mehr Personal in Schulen und Kindertagesstätten
Schulen und Kitas müssen personell so ausgestattet werden, dass sie die Integrationsaufgaben auch wirklich leisten können.
Für viele anfallende Tätigkeiten (Essen zubereiten, Vorlesen, sportliche und kreative Tätigkeiten) braucht es nicht zwingend pädagogisches Personal, hier könnten Quereinsteiger*innen zur unmittelbaren Entlastung von Lehrer*innen und Erzieher*innen beitragen.
- Den Rechtsstaat durchsetzen
Die Genfer Flüchtlingskonvention, Art. 33, Abs.2, legt fest: „Auf die Vergünstigung dieser Vorschrift (Verbot der Ausweisung und Zurückweisung) kann sich jedoch ein Flüchtling nicht berufen, der aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit des Landes anzusehen ist, in dem er sich befindet, oder der eine Gefahr für die Allgemeinheit dieses Staates bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder eines besonders schweren Vergehens rechtskräftig verurteilt wurde“
Die frühzeitige und entschlossene Abschiebung von Gefährdern und Straftätern
ist richtig und notwendig, soweit dem nicht unsere eigenen Sicherheitsinteressen entgegenstehen. Die von der Bundesregierung ermöglichten Abschiebungserleichterungen müssen vor allem für die Beschleunigung der Abschiebung dieser Personen genutzt werden, ohne dabei Terrorregimes aufzuwerten. Wer stattdessen gut integrierte
Menschen ins Visier nimmt, die sich nichts haben zu Schulden kommen lassen, nur
um seine Statistik zu füllen, leistet der inneren Sicherheit und der Integration
einen Bärendienst. Der Zugang zu Rechtsschutz und gerichtlicher Überprüfung ist Kern unseres Rechtsstaats. Das gilt selbstverständlich auch für die Überprüfung der Rechtmäßigkeit von drohenden Abschiebungen durch Widerspruchsmöglichkeiten und Urteile, bevor eine Rückführung vollzogen wird.
Die Bundesregierung hat den Wechsel vom Asyl- ins Aufenthaltsrecht erleichtert für Menschen, die gut integriert sind und sich selbst versorgen können. Wir wollen Arbeitsmigration weiter erleichtern und von der Asylmigration stärker trennen. Dazu gehört, dass diejenigen, die weder die Voraussetzungen für die Arbeitsmigration noch für einen Asylanspruch in Deutschland erfüllen, ebenfalls zurückgeführt werden.
- Umsetzung der Gemeinsamen Europäischen Asylpolitik (GEAS)
Wir Grüne setzen uns seit Jahren für eine Neuordnung der europäischen Asylpolitik ein. Gemeinsam stehen wir für den Schutz von Menschenrechten, eine rechtebasierte und lösungsorientierte Flüchtlingspolitik und eine handlungsfähige Europäische Union, die sich an diesen Werten orientiert. Wir stehen für eine individuelle und inhaltliche Prüfung des Rechts auf Asyl in der EU.
Die derzeitige Lage an den europäischen Außengrenzen ist unhaltbar. Dabei kann es nicht bleiben. Deshalb haben wir rund um die Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) lange und hart verhandelt und einige Verbesserungen erreicht, die ohne uns nicht möglich gewesen wären, wie zum Beispiel einen systematischen Zugang zu Rechtsberatung. Außerdem muss es weiterhin eine Verbindung zu einem sicheren Drittstaat geben. Erstmals soll es jetzt in der EU einen verbindlichen Solidaritätsmechanismus geben und Geflüchtete sollen verbindlicher registriert werden – eine verpflichtende Aufnahme von Geflüchteten und somit ein wirklich solidarisches Verteilsystem kommt jedoch nicht. Auch weitere zentrale Punkte, wie Ausnahmen für Familien mit Kindern in Grenzverfahren, konnten nicht erreicht werden. Zudem kommen mit der GEAS-Reform Verschärfungen der aktuellen Rechtslage, wie eine Verlängerung der Dublin-Fristen und verpflichtende Rückführungsgrenzverfahren von bis zu 12 Wochen. Durch Ausweitung der Drittstaatenregelung kann sich die Situation auch für Menschen mit hohen Anerkennungsquoten verschlechtern.
Wir sehen das europapolitische Dilemma, denn die europäische Asylpolitik braucht maßgebliche Verbesserungen, für die es keine Mehrheiten gibt. Die beschlossenen Verschärfungen finden wir aus asylpolitischer Sicht jedoch falsch.
Trotz allem muss EU-Recht umgesetzt werden und wir treten für eine beschleunigte Umsetzung des GEAS mit Blick auf die tatsächliche Situation und zum Wohle aller Schutzsuchenden ein, denn besonders im Asylbereich droht ohne die Rückkehr zur konsequenten Achtung und Durchsetzung des Rechtsrahmens noch mehr Chaos und Leid.
Gemeinsam zollen wir den unterschiedlichen Einschätzungen zu der Reform Respekt und kämpfen in enger Abstimmung zwischen Europafraktion, Bundestagsfraktion, Bundespartei und Regierungsmitgliedern weiterhin mit aller Kraft für eine Verbesserung der Situation für Schutzsuchende um und in Europa.
Besonders wichtig ist uns dabei die Einhaltung und Überwachung rechtsstaatlicher Verfahren und der Menschenrechte. Hierfür braucht es ein flächendeckendes und unabhängiges Menschenrechtsmonitoring. Verstöße wie insbesondere Pushbacks und andere Gewalt gegen Schutzsuchende müssen konsequent sanktioniert werden. Auch die Vergabe von EU-Mitteln muss politisch deutlich stärker an die Einhaltung geltenden EU-Rechts gekoppelt werden.
- Fluchtursachen bekämpfen
Wir fordern eine stärkere Zusammenarbeit mit Schwellenländern, die eine positive demokratische und wirtschaftliche Entwicklung aufweisen und ihre Region stabilisieren und dadurch Fluchtursachen mindern.
Der Klimawandel zwingt schon jetzt unzählige Menschen dazu, ihre Heimat zu verlassen. Bündnis 90/Die Grünen setzt sich weiterhin mit aller Kraft für nationale und internationale, kooperative Maßnahmen von Umwelt- und Klimaschutz ein. Wir stehen hinter Außenministerin Annalena Baerbock und unterstützen sie in ihren fortwährenden Bemühungen die Kriegs- und Krisenherde der Welt mit diplomatischen Mitteln zu beenden.
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