Kultur

Kulturräume erhalten – Festivals und Livekultur stärken

Beschluss der Landesdelegiertenkonferenz am 24.09.2022

Nach zwei Jahren Pandemie ist das, was vom Kulturleben übrig ist, langsam wieder am Hochfahren. Viele Menschen haben es vermisst, Livemusik zu hören, eine Lesung zu besuchen, im Theater oder Kino zu sitzen und sich dabei und danach mit anderen zu treffen und zu unterhalten. Denn Kultur ist nicht nur ein nice-to-have, sondern elementarer Bestandteil von Teilhabe unseres sozialen Lebens. Digitale Formate haben sich trotz oft beeindruckender Ideenvielfalt relativ schnell abgenutzt. Kunst und Kultur leben von Präsenz, von Verdichtung von Beziehung zueinander und Austausch miteinander – und auch davon, dass das Publikum sich als Gemeinschaft begreift.

Kultur selbst wiederum verdichtet sich in Festivals. Die hat es in den vergangenen beiden Jahren hart getroffen. Schließlich waren riesige Menschenansammlungen während einer Pandemie keine sonderlich gute Idee. Gleichzeitig sind Festivals aber wichtige Räume, in denen sich einerseits Kultur und Künste weiterentwickeln und einem größeren Publikum zeigen, andererseits wir aber auch unser Bedürfnis an sozialer Interaktion wieder erfüllen können.

Viele Akteur*innen der Livekultur, Konzert- und Festivalveranstalter*innen haben sich deswegen gute Konzepte zum Infektionsschutz ausgedacht. Langsam ist das Festivalleben gerade wieder am Aufleben. Open Air-Festivals bieten als Kultur an der frischen Luft einen großen Vorteil was das Infektionsgeschehen auch für vulnerablere Personen angeht.

Viele Festivals und Liveveranstaltungen existieren durch und wegen enorm hohen ehrenamtlichen Engagements. Nachwuchs für dieses Engagement blieb Pandemie bedingt vielfach aus. Dort, wo man sich professionalisiert hatte und mit Mini-Jobs, Soloselbstständigen oder Angestellten tätig war, fehlen nun die breit abgewanderten Arbeitskräfte, die kein Hilfsprogramm halten konnte. Auch die Vorverkäufe sind um bis zu 89% eingebrochen und bedrohen die Liquidität, Publikumszahlen liegen immer noch weit unter Vor-Pandemie-Niveau, was wiederum bei auslaufenden Hilfsprogrammen die Existenz vieler Festivals bedroht.

Deswegen müssen wir uns jetzt Gedanken darüber machen, wie wir Festival- und Livekultur in den nächsten Jahren politisch weiter unterstützen können, damit die Festivalkultur in Bayern nach der Pandemie wieder aufleben und weiterleben kann. Unser grüner Anspruch in der Kulturförderung ist, dass Festivals für alle da sind!

Förderpraxis ins Hier und Heute holen

Transparente Förderpraxis etablieren – Intransparente Förderpraxis, ohne öffentlich einsehbare Kriterien und ohne im Netz leicht auffindbare Ansprechpersonen, ist Kulturförderung nach Gutsherrenart. Wir treten dem
mit Mindest-Standards zu digitalen Einreichwegen, Online-Veröffentlichung von Vergabekriterien und Förder-Richtlinien und Ansprechpersonen entgegen. Diese Mindest-Standards wollen wir auf allen Ebenen implementieren. Auch bei den Verwendungsnachweisen streben wir Harmonisierung und digitale Abwicklung der Verwendungsnachweise an.

Lokale und regionale Kulturräume stärken – Überall in der Fläche Bayerns sind in den vergangenen Jahren viele innovative Festivals entstanden, die den DIY-Gedanken, Themen wie Nachhaltigkeit und ein gleichberechtigtes Zusammenleben zur Grundlage gemacht haben. Gerade auf dem Land ist es aber oft schwieriger, Behörden von einem Konzert- oder Festivalvorhaben zu überzeugen. Wir Grüne sehen Festivals und andere Kulturveranstaltungen als wichtigen Faktor für gleichwertige Lebensverhältnisse in Stadt und Land.
Deswegen wollen wir uns auch auf lokaler Ebene dafür einsetzen, dass Kulturveranstaltungen durch die lokalen Behörden die notwendige Unterstützung und Hilfestellung bekommen. Nach dem baden-württembergischen Vorbild wollen wir Regionalmanager*innen für Kultur einrichten, die den so wichtigen Austausch und Wissenstransfer, beispielsweise in Bezug auf Drittmittelakquise, vorantreiben.

Strukturförderung statt Dauer-Projektisierung – Wir Grüne wollen Kultur als kommunale Pflichtaufgabe verankern und Kommunen befähigen, ihren Anteil zu einem lebendigen Kulturleben beizutragen. Auf allen politischen Ebenen in Bayern von Kommune bis Freistaat werden öffentliche Haushalte vermehrt in enger Taktung beschlossen, mit der Folge, dass beispielsweise staatliche Mittel für Kultur oft erst im Frühsommer bewilligt werden und erst im September ankommen – mit der Vorgabe, sie bis Dezember auszugeben. Strukturförderung über mehrere Jahre statt Dauer-Projektisierung soll hier Luft zum Atmen schaffen, um die Kulturakteur*innen in unserem Land zu befähigen, das zu tun, was sie am besten können: kreativ sein!

Sozial-Ökologische Nachhaltigkeit voranbringen – Gesellschaft

UN-Behindertenrechtskonvention umsetzen – Damit Festivals für alle da sind, müssen Inklusion und Barrierefreiheit bei Festivals besser unterstützt und politisch gefördert werden, die gesetzliche Grundlage ist hierbei die UN-Behindertenrechtskonvention. Viele kleinere Maßnahmen sind oft nur mit geringem Aufwand verbunden, brauchen aber eine Wissensweitergabe unter Veranstalter*innen und Beratung durch Selbstvertreter*innen. Andere Maßnahmen wie der Einsatz von Gebärdensprachdolmetscher*innen, von Induktionsschleifen, barrierefreie mobile Toilettenanlagen u. a. bringen aber oft einen hohen finanziellen Aufwand für die Veranstalter*innen mit sich. Wir wollen daher einerseits die Wissensweitergabe in diesem Bereich über Netzwerke und Leitfäden, beispielsweise über die Popularmusikbeauftragten der Bezirke oder über die lokalen Kulturbehörden, fördern. Andererseits sollte der Freistaat ein Förderprogramm für die inklusive und barrierefreie Gestaltung von Festivals auflegen, das es auch kleineren und ehrenamtlichen Veranstalter*innen ermöglicht, mehr Menschen an ihren Veranstaltungen teilhaben zu lassen. Last not least muss Coaching zur Barrierefreiheit förderfähig werden.

Parität und Diversität fördern – Immer wieder großer Diskussionspunkt ist das Thema Geschlechtergerechtigkeit und Diversität im Festivalbereich. Beispielsweise gehören bei Musikfestivals All-Male Bookings auch heute noch nicht der Vergangenheit an. Wir Grüne wollen die Vielfältigkeit der Kulturszene in Bayern auch auf die Bühnen bringen. Das hört nicht bei der Frauen*förderung auf, sondern schließt auch marginalisierte Gruppen mit ein. Festivals und Liveveranstaltungen, die von der öffentlichen Hand veranstaltet oder gefördert werden, sollten deswegen bei der Auswahl von Künstler*innen ein besonderes Augenmerk auf eine vielfältige Einladungsliste legen, die Vielfalts-Kriterien genügt. Diese Vielfalt bezieht sich für uns auf Personen hinter den Kulissen, Menschen auf der Bühne, Zielgruppen bzw. Publikum und Inhalte.

Familienfreundlichkeit stärken – Frauen* leisten immer noch ein Großteil der Care-Arbeit. Die Abwesenheit von Frauen* in weiten Teilen der Kulturszene hat auch mit Elternschaft zu tun. Familienfreundliche Bedingungen für Kreative und Publikum sollten daher Selbstverständlichkeit sein, um Frauen*, die Care-Arbeit leisten, bessere Teilhabe zu ermöglichen. Darum wollen wir Kinderbetreuung förderfähig machen und Coaching-Angebote zur Familienfreundlichkeit im Kultursektor voranbringen.

Sozialstandards einhalten – Vergabe öffentlicher Mittel sollten an Sozialstandards gebunden sein. Die Öffentliche Hand darf nicht mithelfen, Prekariat zu manifestieren. Darum stehen wir für Fair Art Funding mit verbindlichen Mindesthonoraren und Mindestgagen bei Förderungen und Fair Art Booking dort, wo die Öffentliche Hand direkt Kreativleistungen bucht oder Veranstalterin ist.

Safe Spaces – Damit alle den Festivalbesuch genießen können, ist es auch unablässig, Belästigungen und Übergriffe, die in einer mit Alkohol oder Drogen aufgeladenen Atmosphäre leider noch öfter vorkommen als sowieso schon, zu unterbinden und für Fälle, in denen sie passieren, passende Hilfe zur Verfügung zu stellen. Immer mehr Festivals richten zu diesem Zweck ständige Awareness-Teams ein oder schulen ihr gesamtes Personal für Fragen der Awareness bezüglich sexueller Belästigungen und Übergriffe. Wir wollen Veranstalter*innen ermutigen, ihre Festivals zu sicheren Räumen für alle Besucher*innen zu machen und ihnen dafür Wissensressourcen und Netzwerke zur Verfügung stellen.

Sozial-Ökologische Nachhaltigkeit voranbringen – Umwelt

Nachhaltige Festivalförderung – Wie in allen anderen gesellschaftlichen Bereichen, müssen wir uns auch in Kunst und Kultur Gedanken über Klimaschutz und Nachhaltigkeit machen. Dass Festivals mitunter viele Ressourcen verbrauchen, sowohl durch die Veranstaltung selbst, aber auch durch das Verhalten der Besucher*innen, ist kein Geheimnis. Viele Veranstalter*innen haben sich in den vergangenen Jahren hier aber bereits zahlreiche Gedanken gemacht und tolle Konzepte zur Umsetzung gebracht. Wir wollen Veranstalter*innen, die diesen Weg gehen, künftig auch von politischer Seite mit Fördermitteln unterstützen.

Klimaschutz – Festivals profitieren von ökologischen Standards im Kulturbereich. Wir regen eine IHK-zertifizierte Weiterbildung zum „Green Consultant Kulturmanagement“ an, machen Green Coaching förderfähig, etablieren einheitliche und vergleichbare Kultur-CO2-Rechner und entwickeln Kriterien für einen „Grünen Kultur Pass“ zur Zertifizierung der Festivals, die schon heute vorbildliche Arbeit im Bereich ökologischer Nachhaltigkeit leisten.

Mobilität – umweltfreundliche Mobilität vom und zum Festival muss noch besser werden. In Abstimmungen, wo die Bahn welche Halte und Bedarfshalte bewahrt oder etabliert, bringen wir kulturelle Bedarfe mit ein. Bei Einrichtung neuer ÖPNV-Angebote fragen wir Bedarfe der Kultur ab. Neben dem ÖPNV-Ausbau bis in Randstunden hinein denken wir auch an das Fahrrad als umweltfreundliches Transportmittel hin zum Festival, dessen Bedarfe und Logistik (Abstellanlagen etc.) im Kulturbereich förderfähig werden sollen. So wie Straßen zu Festivalorten aus dem Mobilitätsbudget kamen, finanzieren wir auch umweltfreundliche Mobilitätsangebote für Kultur aus den Mobilitätsbudgets.

Zero Waste – Wir unterstützen Festivals auf ihrem Weg hin zu Zero Waste. Angebote von Spülmobil bis Mehrweg-Pfandsysteme wollen wir dabei ebenso unterstützen wie die Gründung von Zweckverbänden zur überregionalen Strukturverbesserung der Miet-Angebote für Zero-Waste-Logistik für den Kulturbereich.

Material-Minimierung – Das betrifft nicht nur die Logistik rund um Catering und Geschirr, sondern auch Zweckverbände für Bühnenaufbauten, Bestuhlung, Bühnentechnik, umweltfreundliche und barrierefreie Toiletten-Services und vieles andere mehr, das in Vielfach-Nutzung ressourcenschonender ist als in Einzelnutzung. Materialverteilungsinitiativen können außerdem dabei helfen, Bühnenbauten u.a., zu einem „zweiten Leben“ zu verhelfen.

Ökologischer Impact vor Ort – Bei sensiblen Flächen suchen wir auf allen Ebenen das Gespräch und gehen unvoreingenommen in die Abstimmung von Bedarfen hinein. Ziel hierbei ist lösungsorientierte, gemeinsame Arbeit zur Ermöglichung von mehr Kultur bei gleichzeitiger Schonung unserer Umwelt. Wir vernetzten Expertise zu häufig entstehenden Divergenzen und machen Best-Practice Beispiele bekannter, um überall zu guten Lösungen für alle zu kommen.

Green Culture Desk – Wir wollen Veranstalter*innen auch in Bayern analog zum Green Culture Desk im Bund, der Beratung und Mittel für die ökologische Transformation anbietet, künftig mit Fördermitteln unterstützen.

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