Beschluss auf der Landesdelegiertenkonferenz 2024 in Lindau
Jugendarbeit muss auf allen Ebenen bedarfsgerecht ausgestattet und unabhängig sein
Die letzten Landtagswahlen haben es gezeigt: Kinder, Jugendliche und Heranwachsende spielen für die bayerische Staatsregierung keine Rolle. Im Koalitionsertrag von CSU und Freien Wählern kommt die Jugendarbeit als solche praktisch nicht vor, schon gar nicht eine eigene Jugendpolitik. Auch das Wahlalter ab 16 auf kommunaler und bayerischer Ebene wird erneut nicht umgesetzt. Eine solche Nicht-Beachtung der Frage, wie die zukünftigen Generationen von Arbeiter*innen, Akademiker*innen und Entscheidungsträger*innen fit für die Herausforderungen der Zukunft gemacht werden sollen, ist erschreckend!
Die letzten U-18-Wahlen machen außerdem deutlich, dass auch junge Menschen anfällig sind für populistische und verfassungsfeindliche Parolen. Hier ist natürlich auch die Schullandschaft gefordert. Sozialkunde und politische Bildung dürfen in den Lehrplänen nicht weiter eine Randnotiz bleiben. Aber Politik- und Demokratiebildung brauchen neben diesen formalen Lernumgebungen vor allem den weiteren Raum nonformaler und informeller Bildungsprozesse, in denen Information, Auseinandersetzung, sich Ausprobieren, Teilhaben und Gestalten ohne schulischen Leistungsdruck stattfinden können.
Ziel muss es sein, junge Menschen „demokratiefest“ zu machen. Der 16. Kinder- und Jugendhilfebericht der Bundesregierung hat 2020 hierzu herausgestellt, dass eine auskömmliche und verlässliche Grundförderung der etablierten Jugendarbeit der beste Ansatz für die politische Jugendbildung darstellt.
Steigende psychische Belastungen und zunehmender Verwaltungsaufwand für die, die sich engagieren wollen, sowie immense und vielfach miteinander verwobene globale Krisen, deren Auswirkungen vorrangig die heute jungen Menschen betreffen werden: Um diesen Herausforderungen zu begegnen, müssen die Strukturen der Jugendarbeit insbesondere durch Fachkräfte so ausgestattet werden, dass Ehrenamtliche mit der Übernahme von Verantwortung, z.B. eines Vorstandsamtes in ihrer Gliederung, nicht überfordert werden. Mitarbeiter*innen müssen sich ausreichend qualifiziert fühlen. Und Kinder und Jugendlichen müssen ein Angebot vorfinden, dass sie teilhaben lässt an der Gestaltung der Gesellschaft und der Herausforderungen unserer Zukunft!
Das kann nur gelingen, wenn auf allen drei kommunalen Ebenen die Jugendarbeit bedarfs-GERECHT und verlässlich so ausgestattet ist, dass sie ihre Unabhängigkeit bewahren und Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen einen selbstverantworteten, selbstorganisierten Handlungsraum für selbstwirksame Lern-, Gestaltungs- und Freizeiträume bieten kann.
Bündnis 90/Die Grünen nehmen hier zunehmende Defizite wahr, die nach unserer Einschätzung in Teilen bereits einen Angriff auf die Unabhängigkeit der Jugendarbeit darstellen: Stadt-, Kreis- und Bezirksjugendringen werden die Mittel derart drastisch gekürzt, dass sie nicht oder nur noch unter erschwerten Bedingungen in der Lage sind, ihren Aufgaben gerecht zu werden. Gleichzeitig ist die Jugendarbeit vermehrt Adressat von Wünschen der Politik, welche Themen sie aufgreifen und bearbeiten solle: “Mehr Volksmusik statt Hip Hop”, “weniger Debatten um fleischlose Ernährung”, “weniger Fokus auf ‘Randgruppen’, mehr Inhalte der ‘breiten Mehrheit’” – das sind nur einige Beispiele, die offen oder hinter vorgehaltener Hand der Jugendarbeit mit mehr oder weniger (finanziellem) Nachdruck nahegelegt werden.
Dabei gilt nach SGB XIII im Hinblick auf die Jugendarbeit das Subsidiaritätsprinzip in Form der Angebote anerkannter Träger der freien Jugendhilfe, also der Jugendverbände, Gemeinschaften, Initiativen und Jugendringe, die im Bayerischen Jugendring mit seinen Untergliederungen Beschluss auf der Landesdelegiertenkonferenz 2024 in Lindau 2 zusammengeschlossen sind. Diese sind demokratisch legitimiert und legen ihre Inhalte selbst fest. Das fundamentale Grundprinzip der Jugendarbeit lautet: Lernen von und mit der freiwillig gewählten Gruppe von Gleichgesinnten in ehrenamtlich getragenen, demokratisch ausgehandelten und selbstorganisierten Prozessen. Das ist Partizipation, die jungen Menschen eine Qualifizierung, Selbstpositionierung und das Erlangen einer Verselbständigung in einem Maße ermöglicht, wie sie in formalen Bildungskontexten wie der Schule nicht möglich ist. Durch diese Reallabore der Partizipation können Kinder und Jugendliche ganz selbstverständlich in die gesellschaftliche und demokratische Verantwortungsübernahme hineinwachsen.
Solange die Jugendarbeit im eigenen Wirkungskreis auf dem Boden der Demokratie und der Verfassung bleibt, verbietet sich von daher jegliches Ansinnen, Zuschüsse davon abhängig zu machen, ob die von den Verantwortungsträgern in der Jugendarbeit gewählten Inhalte und Formate den Vorstellungen der – meist älteren – kommunalen Mandatsträger*innen oder der Verwaltung der jeweiligen Ebene entsprechen.
Wir fordern:
- Wahlalter ab 16
- Eine verlässliche Finanzierung der Stadt- und Kreisjugendringe, der Bezirksjugendringe sowie des Bayerischen Jugendrings der jeweiligen kommunalen Ebenen sowie durch Mittel des Freistaats Bayern.
- Eine Finanzierung, die den in den Ringstrukturen tätigen Verbänden, Gruppierungen und Initiativen die inhaltlich unabhängige Ausgestaltung ihrer Arbeit ermöglicht.
- Eine Ausstattung der Jugendarbeit auf allen Ebenen, die ehrenamtlichen Jugendlichen und Jungen Erwachsenen die Übernahme von Verantwortung z.B. in Vorstandsämtern durch eine ausreichende hauptamtliche Begleitung und Unterstützung möglich macht.
- Eine eigenständige Jugendpolitik auf allen kommunalen Ebenen und auf Landesebene, die alle Entscheidungen auf ihre Auswirkung für die Heranwachsenden hin überprüft und Kinder-, Jugendliche und junge Erwachsene an den sie betreffenden Entscheidungen teilhaben lässt. • Eine verbesserte Förderung der Jugendarbeit der Bayerischen Landeszentrale für politische Bildungsarbeit durch den bayerischen Landtag.
- Ein Ausbauprogramm „Fachkräfte für die Jugendarbeit“, um die Beschäftigung sowie die Weiterqualifizierung von Fachkräften dauerhaft zu sichern. Zudem soll vom Modell der befristeten Beschäftigung abgerückt werden und Dauerstellen für die Jugendarbeit finanziert werden.
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