Beschluss auf der Landesdelegiertenkonferenz 2019 in Lindau
Es gibt nicht einen triftigen Grund, Menschen im Asylverfahren oder in der Duldung die Möglichkeit zur Arbeit zu verweigern. Ganz im Gegenteil: Beschäftigung schafft Struktur, ermöglicht mehr Selbstbestimmung, erleichtert soziale Vernetzung und Spracherwerb – und steigert zudem die finanzielle Unabhängigkeit von staatlichen Leistungen. Viele klein- und mittelständische Betriebe in Bayern suchen händeringend nach Auszubildenden und Mitarbeiter*innen. Nicht zuletzt durch ein starkes Engagement der Handwerkskammern sowie der Industrie- und Handelskammern herrscht große Bereitschaft aufseiten der Betriebe und Unternehmen, Geflüchtete in Ausbildung zu bringen oder zu beschäftigen.
Dennoch gibt es Beschäftigungsverbote für Geflüchtete; die Erteilung von Arbeits- und Ausbildungserlaubnissen gleicht einem Lotteriespiel. Die Politik der Bayerischen Staatsregierung verunsichert dabei die Betriebe und Unternehmen, verhindert zunehmend eine erfolgsversprechende Integration in den Arbeitsmarkt und grenzt – insbesondere durch ihre Weisungen zur Bundesgesetzgebung – die ohnehin einschränkende Rechtslage weiter ein. Das wollen wir ändern. Wir Grüne fordern einen einfacheren Weg in Arbeit und Ausbildung – und damit zugleich Sicherheit für die Betriebe.
Arbeitsverbote beenden
Bislang liegt die Erteilung von Arbeitserlaubnissen für Asylbewerber*innen und Geduldete im Ermessen der Ausländerbehörden. Die berufen sich wiederum auf Weisungen des bayrischen Innenministeriums, in denen die Bundesgesetzgebung präzisiert werden soll. Im Vergleich zu anderen Bundesländern sind die Weisungen in Bayern einerseits besonders restriktiv. Andererseits bleiben große Ermessensspielräume, die nicht zuletzt gegen die einzelne Person verwendet werden können.
Im Ergebnis entstehen unnötige Härte und massive Diskrepanzen zwischen den Behörden, von denen die Ermessensspielräume unterschiedlich interpretiert werden. Viele Entscheidungen sind kaum nachvollziehbar – und alle sind letztlich maßgeblich abhängig davon, welche Behörde zuständig ist und ob eine stabile, gut informierte Struktur an Helfenden unterstützt. Das eigentlich Ausschlaggebende, wie nämlich der Einzelfall gelagert ist, rückt da allzu häufig in den Hintergrund.
Für Betroffene, aber auch für Unterstützer*innen und Ausbildungsbetriebe führt dieser Zustand zu extremen Unsicherheiten, zu emotionaler und psychischer Belastung sowie zu maßgeblichen Hürden in der Lebensplanung der Betroffenen. Das muss ein Ende haben. Wir setzen uns deshalb dafür ein, dass bereits während des Asylverfahrens der Zugang zu Arbeit deutlich vereinfacht wird. Grundsätzliche Arbeitsverbote müssen ein Ende haben.
Das gilt auch für Praktika. Praktika spielen beim Einstieg ins Berufsleben eine wichtige Rolle. Bislang müssen Praktika von Asylbewerber*innen und Geduldeten von den Ausländerbehörden genehmigt werden. Dies erschwert den Zugang zu Praktikumsplätzen, stellt für Betriebe eine weitere Hürde dar und schafft unnötigen bürokratischen Aufwand. Wir wollen die Genehmigungspflicht für Praktika aufheben und so den Zugang zu Praktika deutlich erleichtern.
Echten Spurwechsel ermöglichen
Für Menschen in Duldung ist der Weg in Ausbildung und Arbeit in Bayern meist versperrt. Alle bisherigen Ankündigungen, hier einen Spurwechsel zu ermöglichen, blieben ergebnislos – auch deshalb, weil die bayerischen Kriterien für eine sogenannte Beschäftigungsduldung nahezu nicht zu erreichen sind. Wir wollen unabhängig von der Bleiberechtsperspektive eine Möglichkeit zur Ausbildung oder Arbeit eröffnen. Unter anderem fordern wir daher, dass bei der Vergabe von Ausbildungsduldungen fortan nur Kriterien angewendet werden, die für die Ausbildung tatsächlich relevant sind, insbesondere die Zusage des Betriebs.
Die Identitätsklärung muss in einem Zug-um-Zug-Verfahren möglich sein: Wer aus einem Land wie Afghanistan kommt, dem wird es allenfalls mittelfristig möglich sein, einen Pass zu erhalten. In diesen Fällen muss es möglich sein, auch dann eine Ausbildung zu beginnen, wenn noch nicht alle nötigen Papiere vorliegen – zugleich aber beispielsweise nachvollziehbar ist, dass bereits andere entsprechende Schritte eingeleitet wurden. Auch Verzögerungen bei der Überprüfung vorhandener Identitätspapiere durch BAMF oder LfAR dürfen nicht zu Lasten der Geflüchteten gehen.
Stattdessen werden Geflüchtete immer wieder auch dann abgeschoben, wenn sich abzeichnet, dass alle Kriterien für eine Ausbildungsduldung bald erreicht sind. Für die Betriebe entsteht dadurch ein enormer Unsicherheitsfaktor – von den Betroffenen ganz zu schweigen. Wir fordern, Abschiebungen einstweilen aufzuschieben, wenn sich im Einzelfall eine Ausbildung abzeichnet – auch dann, wenn noch nicht alle Schritte hin zur Ausbildungsduldung abgeschlossen sind. Alles andere ist reinste Schikane, für die Geflüchteten ebenso wie für die bayerische Wirtschaft.
Zugang zu Bildung ermöglichen
Die Aussicht auf ein gutes Leben beginnt mit dem Spracherwerb. Wir wollen den Zugang zu Sprachkursen deutlich ausweiten, das Angebot entsprechend ausbauen und die Teilnahme von Herkunftsland oder Bleibeperspektive entkoppeln.
Zugleich wollen wir Kindern von Geflüchteten den Zugang zu Bildung ermöglichen, vollumfänglich und – mit entsprechender Unterstützung – im Rahmen des regulären Schulsystems. Das eingeschränkte Bildungsangebot in bayerischen Sammelunterkünften untergräbt zahlreiche Bestimmungen der UN-Kinderrechtskonvention und gehört abgeschafft. Die faktische, nicht selten jahrelange Isolierung in bayerischen Sammelunterkünften lehnen wir prinzipiell und entschieden ab.
Keine Abschiebungen nach Afghanistan Abschiebungen nach Afghanistan wollen wir beenden. Afghanistan ist eines mit Sicherheit nicht: sicher. In fast allen Landesteilen kam es in jüngster Vergangenheit zu Kämpfen, Anschlägen oder Gewalttaten. Die Taliban sind erneut auf dem Vormarsch. Weiterhin wütet in Afghanistan einer der gewaltsamsten und tödlichsten Konflikte weltweit. Auch die Erzählung „sicherer Regionen“ bzw. „sicherer Fluchtalternativen“ innerhalb des Landes wird regelmäßig von den tatsächlichen Entwicklungen vor Ort widerlegt.
Gerade auch Rückkehrende sind gefährdet. Oft haben sie weder Verankerung noch ein soziales Netz, das sie auffängt. Hinzu kommt, dass regelmäßig auch besonders gut integrierte Menschen nach Afghanistan abgeschoben werden – allen voran aus Bayern. Aus all diesen Gründen fordern wir auch weiterhin einen sofortigen Abschiebestopp nach Afghanistan.
Ausbildungs- und Arbeitsvisa ohne Ausreise ermöglichen
Bislang besteht keine Möglichkeit, ein Ausbildungs- oder Arbeitsvisum ohne Ausreise in das Herkunftsland und Beantragung bei der dortigen deutschen Botschaft zu erhalten – auch dann nicht, wenn ansonsten alle Voraussetzungen einer entsprechenden Duldung erfüllt sind. Das ist schlichtweg absurd, zudem kostenintensiv und oftmals mit erheblichen Gefahren verbunden. Im Falle von Afghanistan ist es geradezu unmöglich, da die dortige Botschaft infolge eines Anschlags nach eigenen Angaben längerfristig nicht in der Lage sein wird, Visaanträge entgegenzunehmen oder gar zu bearbeiten. Wir Grüne wollen deshalb die Möglichkeit schaffen, dass Ausbildungs- und Arbeitsvisa auch in Deutschland beantragt werden können – im Sinne der Betroffenen, der Botschaften vor Ort und der interessierten Betriebe.
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