Beschluss auf der Landesausschuss-Sitzung am 12.09.2020
Nach vielen Jahren der Diskussion und der mühsamen Arbeit von Gewerkschaften und europäischen Unterstützungsorganisationen wie dem Verband der europäischen Wanderarbeiter, kommt mit der Corona-Krise wieder neuer Schwung in die Debatte über die unsäglichen Arbeitsbedingungen in der deutschen Fleischindustrie, der Arbeit im Baugewerbe und in der Saisonarbeit im Rahmen der Obst- und Gemüseernte landwirtschaftlicher Betriebe. Besonders hier werden Beschäftigte, meist aus Osteuropa, sozial ungesichert und zu Niedriglöhnen über Subunternehmen beschäftigt. Gleichzeitig wer-den die gesetzlichen Regeln von Arbeitszeiten, Unterbringung und Arbeitsschutz zu wenig beachtet.
Werkverträge sind per se erst einmal nichts Schlechtes. Wir schließen sie ab, wenn wir Handwerker*innen mit einer Leistung beauftragen oder ein Unternehmen beauftragt mit einem Werkvertrag ein IT-Unternehmen mit der Wartung seiner Server. Kritisch wird die Situation allerdings, wenn tausende von Arbeiter*innen aus EU-Ländern über Werkverträge im Unternehmen mit bestimmten Tätigkeiten in deren Kerngeschäft beauftragt werden, die sie zwar meist mit eigenem Werkzeug, aber ohne eigenständige Handlungsspielräume durchführen müssen. Die Beschäftigten werden rücksichtslos ausgebeutet. Sie arbeiten für niedrige Löhne, zehn oder mehr Stunden, sechs Tage die Woche. Sie werden in engen Unterkünften zusammengepfercht und in vollgestopften Bussen zu den Schichten gefahren. Dieses Geschäftsmodell hat keine Daseinsberechtigung.
Die Bundesregierung hat unter dem Eindruck der Corona-Krise nach langer Tatenlosigkeit endlich Teile der Probleme erkannt. In der Fleischindustrie gibt es mit dem Eckpunktepapier der Bundesregierung, das ein Verbot der Werkvertragsbeschäftigung vorsieht, erste Fortschritte. Wir fordern daher das sofortige Verbot dieser Werkverträge und fordern die Bundesregierung auf, dieses Verbot der Werkverträge auch in einem Gesetz festzuschreiben. Damit ist das Problem allerdings nur in einer Branche teilweise eingedämmt. Weitere Schritte zu einer gerechten Entlohnung, einer sozialen Absicherung und einem ausreichendem Arbeitsschutz müssen folgen!
Ein wichtiger Punkt sind die Arbeitsbedingungen in den Betrieben. Es müssen weitere Maßnahmen folgen, welche die Beschäftigten aus den Netzen der Subunternehmen lösen, die heute Teile des Lohns einbehalten und ihn häufig mit der Fahrt nach Deutschland, dem Transport zur Arbeitsstätte, den Kosten der Unterkunft und der Versorgung mit Essen verrechnen. Es benötigt eine Anrechnung von Wege- und Umkleidezeiten für die notwendige Schutz- und Arbeitskleidung auf die Arbeitszeit. Der*die Arbeitgeber*in muss diese und alle weiteren nötigen Arbeitsmittel zur Verfügung stellen.
Für die lange überfällige Möglichkeit zur Mitbestimmung braucht es dazu starke Betriebsräte und Gewerkschaften, die für die Interessen der Beschäftigten eintreten und Organisationen wie das Projekt „Faire Mobilität“, die die Beschäftigten in ihrer Sprache beraten und für ihre Interessen eintreten. Die Bundesregierung machte hier mit dem Beschluss, das Projekt langfristig zu finanzieren, einen wichtigen Schritt. Beschäftigte, die sich nicht ausreichend in deutscher Sprache verständigen können, über Ketten von Subunternehmen beschäftigt werden und häufig ihre eigenen Arbeitsverträge nicht kennen, sind ein leichtes Opfer für skrupellose Vermieter*innen und Subunternehmer*innen. Durch Beratung in verschiedenen Sprachen und Aufklärung kann hier bereits einiges erreicht werden.
Wir benötigen Mindeststandards für den Wohnraum von Unterkünften für Beschäftigte, die aus anderen Ländern für Monate und Jahre nach Deutschland kommen. Ausreichende Sanitäranlagen, Sozialräume, Kochmöglichkeiten, die Begrenzung der Zahl von Menschen je Schlafraum, die Chance auf eigene Sozialsphäre und die daraus folgende Mindestquadratmeterzahl pro Person. Das alles zu verhältnismäßigen Mietpreisen gemessen an den ortsüblichen Miethöhen. Diese Bedingungen sollten für Menschen in Deutschland im 21. Jahrhundert eine Selbstverständlichkeit sein und kein Gut, wofür die Betroffenen kämpfen müssen. Neben diesen Mindeststandards braucht es auch hier regelmäßige Kontrollen.
Die Zuständigkeit für die Kontrollen der Unterkünfte nach Arbeitsstättengesetz beispielsweise liegt bei den Gemeinden, die ihren Aufgaben häufig nicht nachgekommen sind, weil Werkvertragsbeschäftigte zwar in ihren Gemeinden in Sammelunterkünften lebten, die Betriebe, bei denen sie beschäftigt waren, sich jedoch in entfernten Nachbargemeinden befanden. Den Behörden fehlte so häufig die Kenntnis des Problems, wenn von Subunternehmen selbst z.B. Lagerräume angemietet wurden, in denen viele Beschäftigte untergebracht wurden. Wir benötigen viel mehr Kontrollen, die über Arbeitszeiten, Arbeitsbedingungen, Pausen, Arbeitsschutz und der Einhaltung der Tarifverträge wachen. Die Beweislast muss bei den Betrieben liegen. Diese Kontrollen sollten in einer Organisation, etwa der Bundeszollverwaltung, gebündelt werden, um den vielen schwarzen Schafen in der Branche nicht die Möglichkeit zu geben, die Kontrolleur*innen gegeneinander auszuspielen. Die Umsetzung dieser Forderung kann nur funktionieren, wenn das Personal zur Kontrolle der Missstände massiv ausgebaut wird. In den letzten Jahren kam es bei den zuständigen Gewerbeaufsichtsämtern zu einem starken Ausdünnen der Personaldecke, hunderten unbesetzten Stellen und damit auch zu einer Verringerung der Kontrollen in den Betrieben. Zusätzlich braucht es eine elektronische und manipulationssichere Arbeitszeiterfassung. Ein wichtiger Punkt zur Verfolgung der Missstände und zur Benennung der Verantwortlichen ist darüber hinaus die Nachunternehmerhaftung beim Arbeitsschutz.
Grundsätzlich benötigen wir ein Verbot der langen Ketten von Subunternehmen. Häufig können so-wohl die zuständigen Behörden als auch die Beschäftigten selbst nicht mehr erkennen, wo sie unter welchen rechtlichen Bedingungen beschäftigt sind. Es muss folglich immer und bei allen Beschäftigten erkennbar sein, wo sie angestellt sind, welchem Tarifvertrag sie unterliegen und welche Unter-nehmen möglicherweise von ihrer Beschäftigung profitieren.
Wir fordern daher:
- Ein sofortiges Verbot der Werkverträge in der Fleischindustrie
- Eine Aufstockung des Personals beim Arbeitsschutz und der Lebensmittelhygiene
- Eine Nachunternehmerhaftung der einstellenden Betriebe in der Fleischindustrie im Bereich Arbeitsschutz
- Eine deutliche Einschränkung der Möglichkeiten Beschäftigte über Subunternehmen zu beschäftigen bzw. die Pflicht, diese Beschäftigungsketten jederzeit nachvollziehbar und dauerhaft transparent zu machen
- Eine klare Definition der Mindeststandards von Gemeinschaftsunterkünften hinsichtlich der Anforderungen z.B. an die Sanitäranlagen und Gemeinschaftsräume (Küchen etc.) sowie eine Begrenzung der Möglichkeit, mehrere Beschäftigte in einem Raum unterzubringen und damit eine Mindestquadratmeterzahl pro Person
- Beschäftigung in Deutschland muss immer in Verbindung mit dem Erwerb von Leistungen der Renten-, Kranken-, Pflege- und Arbeitslosenversicherung stehen, damit ein Ende der Sonderregelungen für Beschäftigung im Obst- und Gemüseanbau
- Eine einheitliche Kontrollstelle zur Überprüfung der Einhaltung von Arbeitszeiten, Arbeitsschutz- und Arbeitsstättenvorschriften und aller geltenden Gesetzen sowie ausreichend Personal, Kontrollen regelmäßig durchzuführen
- Die Bereitstellung aller nötigen Arbeitsmittel ohne Anrechnung auf das Gehalt
- Die Anrechnung von Weg- und Umkleidezeiten auf die Arbeitszeit
- Die Zusammenarbeit und den Austausch zwischen verschiedenen Kontrollbehörden wie Lebensmittelüberwachung, Gesundheitsämtern und Gewerbeaufsicht zu verstärken
- Die Betriebsräte an einem Standort müssen für die gesamte Belegschaft zuständig sein
- Verpflichtende landeseinheitliche Hygienekonzepte in der Fleischindustrie einzuführen
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