Flucht

Bayerische Verantwortung wahrnehmen – Fluchtursachen bekämpfen

So viele Menschen wie nie zuvor – über 65 Millionen Frauen, Männer und vor allem Kinder – sind weltweit durch Krieg, Verfolgung, Klimawandel und existenzielle Not gezwungen, ihre bisherige Heimat zu verlassen. Gleichzeitig ist die Zahl der Menschen, die nach einer Flucht in ihre Heimat zurückkehren können, auf einem historischen Tiefstand. Die humanitäre Tragödie millionenfacher Flucht erfordert eine große zivilgesellschaftliche und politische Anstrengung, um die bei uns Ankommenden aufzunehmen und zu integrieren. Wie der Aufbau von flächendeckenden Integrationsstrukturen in Bayern gelingen kann, dazu haben die Bayerischen Grünen im Landtag einen umfassenden Gesetzentwurf vorgelegt (Gesetzentwurf für ein Bayerisches Integrations- und Partizipationsgesetz, Drucksache 17/11501).

Gleichzeitig müssen die Regierungen in Berlin und München über die Maßnahmen zur Integration hinaus langfristige Strategien und Projekte auflegen, deren Ziel es ist, die Perspektivlosigkeit der Menschen in ihren Heimatregionen abzumildern. Fluchtursachen zu bekämpfen heißt dabei nicht, Migration zu verhindern sondern Entwicklungen zu vermeiden, die Menschen dazu zwingen ihre bisherige Heimat zu verlassen.

Fluchtursachen sind vielfältig. Menschen fliehen vor Menschenrechtsverletzungen, vor Krieg, Perspektivlosigkeit oder aufgrund der Klimaerhitzung. Die Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen hat hierzu im Dezember 2015 einen umfassenden Entschließungsantrag „Fluchtursachen statt Flüchtlinge bekämpfen“ in den Bundestag eingebracht (Drucksache 18/7046).

Auch Bayern trägt eine erhebliche Mitverantwortung dafür, dass Menschen fliehen müssen und damit auch für die Bekämpfung der Fluchtursachen. Deshalb muss sich die bayerische Staatsregierung auf allen Ebenen dafür einsetzen Ursachen zu reduzieren, die Menschen dazu zwingen ihre bisherige Heimat zu verlassen.

 

Die Bayerische Staatsregierung muss ihren Beitrag zur Beilegung aktueller militärischer Krisen leisten.

Von der Waffenschmiede zur bayerischen Friedensforschung! Bayern wird seiner besonderen politischen Verantwortung als größter Waffenschmiede Deutschlands bisher in keiner Weise gerecht. Ganz im Gegenteil: Keine andere Landesregierung agiert so massiv gegen restriktive Rüstungsexportregelungen. Das kritiklose und offene Werben des Bayerischen Ministerpräsidenten für Waffenverkäufe an Saudi-Arabien und andere Krisenstaaten droht darüber hinaus in völlig unverantwortlicher Weise zur Verschärfung von Krisen beizutragen, wie sich etwa beim Krieg im Jemen zeigt.

Die Sonderwege der CSU-Staatsregierung, wie sie sich mit dem Besuch des Bayerischen Ministerpräsidenten in Saudi-Arabien, aber auch bei dem Besuch des russischen Staatspräsidenten Putin dokumentiert, lehnen wir insbesondere wegen ihres fehlenden und sogar kontraproduktiven friedenspolitischen Beitrages ab. Zudem fehlt auf Landesebene die Möglichkeit parlamentarischer Kontrolle, wie sie auf Bundesebene mit dem Auswärtigen Ausschuss gegeben ist. Statt abenteuerlicher außenpolitischer Alleingänge muss die Bayerische Staatsregierung dazu beitragen, aus Deutschland einen Vorreiter der zivilen Krisenprävention zu machen.

Wir fordern:

  • Stopp aller Exporte von Rüstungs- und Dual-Use-Gütern in Krisengebiete und an Staaten mit einer problematischen Menschenrechtslage – insbesondere die Übernahme der Resolution durch die bayerische Staatsregierung, in der sich das Europäische Parlament für ein Waffenembargo gegen Saudi-Arabien ausgesprochen hatte
  • Keine Sonderrolle für die Bayerische Staatsregierung in der deutschen Außenpolitik
  • Deutlich mehr Friedensforschung statt Militärforschung durch eine Beförderung der gesellschaftlichen Diskussion in Bayern über ethische Bedenken bei der Vergabe öffentlicher Gelder für Militärforschung. Dazu müssen:
  • die Annahme von Drittmittelprojekten für Militärforschung an Hochschulen und Universitäten transparent gestaltet werden,
  • bayerische Hochschulen gefördert werden, die sich in freiwilligen Selbstverpflichtungen (Zivilklauseln) zum Verzicht auf rüstungsnahe Forschung bekennen. Zur Beratung und unabhängigen Bewertung sind Kommissionen nach dem Vorbild der Ethikkommissionen in der Medizinforschung zu schaffen.

Schutz vor Diskriminierung! In vielen Staaten des Westbalkans, aber auch in Ungarn und Rumänien, werden Roma diskriminiert und sehen sich mehr denn je einem tiefverwurzelten Antiziganismus ausgesetzt. Dennoch hat die CSU nicht nur die Erklärung der Staaten des Westbalkans zu vermeintlich sicheren Herkunftsländern maßgeblich betrieben sondern zugleich den ungarischen Ministerpräsidenten Orban hofiert, der massiv gegen Flüchtlinge, Roma und Minderheiten im Allgemeinen hetzt. Damit und mit vielen Vorurteile schürenden Pauschalaussagen hat die CSU-Staatsregierung den Prinzipien und Werten nationaler und europäischer Flüchtlings-, Integrations- und Antidiskriminierungspolitik massiv geschadet.

Wir fordern:

  • Konsequentes Vorgehen gegen jede Form des Antziganismus, Rassismus und Diskriminierung in Bayern
  • Wirksame Initiativen für die wirtschaftliche und soziale Integration der Roma in den Ländern des Westbalkans
  • Verstärktes politisches, wirtschaftliches und finanzielles Engagement zur Entwicklung der Westbalkanstaaten – auch durch eine bessere Unterstützung Rückkehrwilliger.

 

Die Bayerische Staatsregierung muss ihren Beitrag leisten, um die negativen Folgen unseres Wirtschaftens gerade für die Staaten des globalen Südens abzumildern, damit weniger Menschen aus Verelendung gezwungen sind, ihre Heimat zu verlassen.

Fluchtursachenbekämpfung gibt es nicht zum Nulltarif! Angesichts der Größe der Herausforderung ist das Volumen der von Bayern zur Verfügung gestellten Mittel auf einem zynisch niedrigen Niveau. Im Nachtragshaushalt 2016 wurden 2,3 Mio. Euro zur Bekämpfung von Fluchtursachen bereitgestellt. Bei einem Staatshaushalt in Höhe von rund 55.000 Mio. Euro entspricht das einem Anteil von weniger als 0,005 Prozent – für einen politischen Schwerpunkt, den die CSU in ihren Reden doch immer wieder selbst einfordert!

Wir fordern eine drastische Erhöhung des Etats für Entwicklungszusammenarbeit und insbesondere zusätzliche bayerische Landesmittel zur Bekämpfung von Fluchtursachen.

Mehr Transparenz, mehr Nachhaltigkeit, mehr Fairness! Die bayerische Wirtschaft trägt als wettbewerbsfähiger „global player“ eine entscheidende Mitverantwortung für Mensch und Umwelt – hier und weltweit. Die Bayerische Staatsregierung ist deshalb in der Pflicht, alle politischen Entscheidungen und insbesondere multinationale Verträge mit Auswirkungen auf Drittstaaten, auf ihre Vereinbarkeit mit den UN-Nachhaltigkeitszielen und den Menschenrechten zu überprüfen. Zudem können der Freistaat und seine Kommunen ihre Marktmacht nutzen, um die Arbeits- und Lebensbedingungen der Menschen im „globalen Süden“ langfristig zu verbessern und somit Fluchtursachen zu mindern – immerhin kaufen die Gebietskörperschaften jährlich Güter und Dienstleistungen in einer Größenordnung von etwa 16 bis 18 Prozent des Bruttoinlandsproduktes ein. Diese Marktmacht muss genutzt werden.

Wirtschaftsmacht zu sein, dass schafft zudem eine größere Verantwortung für die Umsetzung der UN-Agenda 2030 zur nachhaltigen Entwicklung, der Beschlüsse von Paris und des für Mitte 2016 angekündigten Nationalen Aktionsplans der UN-Leitlinien zu Wirtschaft und Menschenrechten. Daraus ergibt sich die Verpflichtung für die bayerische Politik und die bayerische Wirtschaft, sich auf allen Ebenen für fairen Handel sowie für Transparenz und Rechenschaftspflicht entlang der globalen Wertschöpfungskette einzusetzen. Gerade Kriterien für faires Wirtschaften bei Beschaffung und Auftragsvergabe können das Verantwortungsbewusstsein in breiten Bevölkerungskreisen im Sinne von „Global denken, lokal handeln“ sehr positiv beeinflussen. Das zeigt sich auch in vielen Kommunen und in Landkreisen Bayerns, wie dem Landkreis Miltenberg, die hier beispielgebend initiativ geworden sind.

Wir fordern:

  • Stopp des aktuellen Verhandlungs- und Abstimmungsprozess zu TTIP und CETA, da diese Abkommen auf Kosten des Marktzugangs, der Entwicklungschancen und damit der Lebensbedingungen in den Ländern des globalen Südens gehen.
  • Ein bayerisches Landesvergabegesetz, das soziale und ökologische Kriterien in der öffentlichen Beschaffung und Auftragsvergabe deutlich stärkt, damit die öffentliche Hand vermehrt fair gehandelte Produkte kauft und mit ihrem großen Einkaufsvolumen neue, faire Standards setzt
  • Stärkere Unterstützung für NGOs mit entwicklungspolitischen Zielsetzungen – auf lokaler Ebene ebenso wie auf Landesebene
  • Förderung kommunaler Initiativen in Bayern, die das Ziel haben, als „Fair Trade Gemeinde/Stadt/Landkreis“ die Idee des fairen Welthandels auf kommunaler Ebene zu stärken.

Nachhaltige, bäuerliche Landwirtschaft statt Futtermittelimporte! Die industrielle Landwirtschaft basiert auf dem Import von Futtermitteln und dem Export veredelter Agrargüter. Soja-Plantagen und andere Monokulturen verdrängen weltweit lokale Kleinbäuer*innen. Damit zerstören sie die Ernährungssicherheit und die Ernährungssouveränität in den Ländern des globalen Südens und tragen maßgeblich zum Hunger in der Welt bei. Der Weltagrarbericht belegt auf alarmierende Weise: Nur eine radikale Umkehr hin zur flächengebundenen Tierhaltung bei uns und weltweit kann die Welternährung langfristig sicherstellen und für ein faires Auskommen aller Bäuerinnen und Bauern sorgen – egal ob in Bayern oder Benin.

Wir fordern:

  • Raus aus der landwirtschaftlichen Überschussproduktion in Bayern, Deutschland und Europa mit ihrer Weltmarkt-Fixierung, weil diese zerstörerisch wirkt auf jede Art regional angepasster und nachhaltiger Landwirtschaft in Bayern ebenso wie im globalen Süden.
  • Koppelung des Anbaus von Futtermitteln an die eigene Fläche, um so die massiven Futtermittelimporte zu verringern.
  • Ausrichtung der bayerischen Forschungs- und landwirtschaftlichen Bildungseinrichtungen auf den Schutz und die Verbreitung lokaler und sortenfester Samen sowie auf an die Klimazonen angepasste Tierrassen anstatt einseitiger „Leistungs-“Zucht.

Intensive wirtschaftliche Kooperation mit Herkunftsländern! Unabhängig davon, ob Menschen aus unmittelbarer Angst um Leib und Leben oder vor wirtschaftlicher Aussichtslosigkeit fliehen, ist eine ökonomische und sozialpolitische Zusammenarbeit mit den betroffenen Regionen zur Bekämpfung von Fluchtursachen zwingend. Das gilt zum einen für die Schutzsuchenden aus der Region um Syrien und Irak, zum anderen aber auch für Bürgerinnen und Bürger aus dem Westbalkan, den Maghreb-Staaten und aus Afrika südlich der Sahara. Eine Verbesserung ihrer Entwicklungsperspektiven ist sowohl im bayerischen als auch im Interesse dieser Staaten.

Wir fordern:

  • Bayern soll in enger Absprache mit anderen Bundesländern und dem Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung mit einer Flüchtlingsregion im Vorderen Orient (z.B. innerhalb des kurdischen Autonomie-Gebietes im Nordirak) eine konkrete und breit aufgestellte Entwicklungspartnerschaft anstreben – mit dem Ziel einer langfristigen Kooperation von Wirtschaft, Kommunen, Hochschulen, Kirchen und Zivilgesellschaft
  • Im Rahmen von „Bayern International“ ist gerade für die Staaten des Westbalkans der planvolle Auf- und Ausbau von Entwicklungspartnerschaften mit Bayern erforderlich
  • Die politisch verbindlich zugesagten Möglichkeiten der Arbeitsmigration sind endlich mit Leben zu erfüllen.

Beim Klimaschutz vorangehen! Meeresspiegelanstieg, Dürreperioden, Starkregen, Stürme und Hitzewellen – die Folgen der maßgeblich von den Industrieländern verursachten Klimaerhitzung entziehen gerade in den ärmsten Staaten des globalen Südens vielen Menschen unmittelbar ihre Lebensgrundlagen. Armut, Radikalisierung, militärische Konflikte, Flucht und Migration werden durch die klimatisch verursachte Verelendung oft erst ausgelöst oder verschärft. Zudem ist die bisherige strategische Bedeutung des Zugangs zum Erdöl immer wieder auch eine wesentliche Ursache für Krisen und Konflikte weltweit.

Wir fordern:

  • Intensivierung der industriepolitische Entwicklungszusammenarbeit Bayerns im Hinblick auf den Auf- und Ausbau erneuerbarer Energieträger vor Ort
  • Sofortige Beendigung der deutschlandweit einzigartigen energiepolitischen Blockade durch die CSU und dramatische Beschleunigung der Umsetzung des Ziels von 100% erneuerbarer Energien im Rahmen eines Bayerischen Klimaschutzplans.

Modernes Einwanderungsgesetz auf den Weg bringen! Anders als in vielen modernen Staaten stellt in Deutschland Art. 16a GG für viele Menschen die einzige Möglichkeit dar um einzuwandern. Das ist weder aus Sicht unserer offenen bayerischen Gesellschaft noch aus jener der einreisewilligen Migranten wirtschaftlich oder sozial sinnvoll.

Wir fordern ein modernes Einwanderungsrecht, das Menschen die Möglichkeit gibt legal einzuwandern, bürokratische Hürden abbaut und Einwanderern ein selbstbestimmtes Leben ermöglicht.

 

Die Welt ist enger zusammengerückt. Deshalb ist es nicht nur in der entwicklungspolitischen Verantwortung sondern auch im ureigensten Interesse Bayerns als wirtschaftsstarkes Land mit einer offenen Gesellschaft, die Bekämpfung von Fluchtursachen als eine zentrale Aufgabe bayerischer Politik anzunehmen.

 

Beschlossen vom Landesausschuss am 2. Juli 2016. Download als PDF

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