Beschluss der Landesdelegiertenkonferenz 2019 in Bad Windsheim
Kein Mensch darf aufgegeben werden! Hilfe, Aufklärung der Betroffenen und Unterstützung der Ärzt*innen und Helfer*innen, in Stadt und Land
Es ist ein trauriger Fakt: Seit 2012 steigt die Zahl der Drogentoten in Deutschland wieder an, und vor allem Bayern ist im bundesweiten Vergleich mit zuletzt über 300 Opfern jährlich Spitzenreiter dieses Armutszeugnisses. Die Ursachen dafür sind vielfältig, und zu den bekannten, verbotenen Substanzen wie Heroin gesellen sich immer häufiger legal zu beschaffende Substitute wie Fentanyl oder auch die sogenannten NPS – Neue psychoaktive Substanzen, auch bekannt unter dem Namen „Legal Highs“, „Badesalze“ oder „Räuchermischungen“.
Diese sind in zunehmenden Maße für die hohe Anzahl von Todesfällen durch Medikamenten- bzw. Drogenmissbrauch verantwortlich, da eine gezielte Dosierung kaum möglich ist. So ist beispielsweise die Zahl der Sicherstellungsfälle und Ermittlungsverfahren mit Bezug zu Fentanyl bei der bayerischen Polizei zwischen 2011 und 2015 sprunghaft angestiegen – auch hier führt der Freistaat die Statistik mit erheblichem Vorsprung an. In den Jahren 2011 bis 2015 entfielen regelmäßig über 70% oder mehr der Fentanyl-Drogentoten in Deutschland allein auf Bayern.
Zusätzlich hat das nordöstliche Bayern nach wie vor mit dem hohen Aufkommen von Crystal Meth zu kämpfen. Es vergeht kaum eine Woche, kaum ein Tag ohne entsprechende Meldungen der lokalen Presse über Aufgriffe von Schmuggelware und/oder Konsument*innen. In den Jahren 2007 – 2016 hatte die Oberpfalz bayernweit die insgesamt meisten Drogentoten durch Crystal Meth zu beklagen.
All diese Szenarien zeigen nur zu deutlich, dass die bisherige Repressions- und Verbotspolitik der Bayerischen Staatsregierung die Situation nicht zu verbessern vermag – im Gegenteil, sie hinkt den Entwicklungen auf dem Drogenmarkt ständig hinterher. Gleichzeitig wird der rechtliche Rahmen für die Einrichtung von unmittelbaren Hilfestellen wie Drogenkonsumräumen nach wie vor nicht ausgeschöpft. Die Bayerische Staatsregierung nimmt damit leichtfertig den Tod von Menschen in Kauf, der ohne weiteres verhindert werden könnte. Werte wie Menschlichkeit und Gemeinwohl, auf die Bayern sich in seiner Verfassung beruft, werden somit systematisch untergraben. Stattdessen sieht die Bayerische Staatsregierung Drogenkonsumräume lediglich als Makel im „sauberen“ Gesicht ihrer Städte und Gemeinden an. Dabei sind sie eine Möglichkeit, Drogenkonsumenten bei Fehldosierungen unmittelbar in ärztliche Behandlung übergeben zu können, Suchtkranke direkt zu erreichen, Beratungsangebote zu vermitteln und Ansteckungsgefahren durch unsauberes Besteck zu vermeiden.
Stattdessen konzentriert man sich weiterhin einseitig auf Repression statt Prävention; letztere findet vorrangig, aber auch nicht ausreichend bei den legalen Drogen Alkohol und Tabak statt. Alles andere wird lieber tabuisiert statt thematisiert – obwohl die Nachfrage für Präventionsprogramme durch Schulen und andere Bildungseinrichten ungebrochen hoch ist.
Dieser halbherzigen Nebenerwerbspolitik wollen wir eine grüne Lösung entgegensetzen, die auf Zusammenhalt und Unterstützung basiert. Statt einerseits Drogenkonsument*innen als Kriminelle hinzustellen und andererseits auf jedem Volksfest stolz Maßkrüge in die Kameras zu halten, machen wir Grüne deutlich, dass Rausch und Sucht nicht durch Verbote aus der Welt geschafft werden. Sucht muss endlich im öffentlichen Bewusstsein wahrgenommen werden. Menschen mit Suchtproblemen haben unsere Solidarität – wir geben niemanden auf!
Es braucht darüber hinaus eine wesentlich bessere Vernetzung staatlicher und privater Einrichtungen und Kampagnen, um einerseits die Präventionsmaßnahmen zu stärken und andererseits Hilfs- und
Beratungsangebote effektiv und zielgerichtet dorthin zu bringen, wo sie gebraucht werden.
Es ist höchste Zeit, die Zahl der Drogentoten im Freistaat zu senken. Zu diesem Zweck ist es unerlässlich, flächendeckend Drogenkonsumräume einzurichten, um schnellstmögliche medizinische Versorgung bei einer Fehldosierung zu gewährleisten. Darüber hinaus ermöglichen Drogenkonsumräume einen wesentlich sichereren und saubereren Umgang mit Sucht. Der Freistaat muss hier den notwendigen Rahmen zur Umsetzung schaffen, wie es etwa auch der Bayerische Bezirketag fordert. Wir fordern, dass die Einrichtung von Drogenkonsumräumen in Bayern endlich nachgeholt wird.
Um eine langfristige Verbesserung der Situation in Bayern zu gewährleisten, muss außerdem die Basis für eine nachhaltige Finanzierung verschiedener Hilfsangebote geschaffen werden. Bisher ist die Finanzierung von Suchthilfeprojekten in Bayern abhängig von der allgemeinen Haushaltslage. Um jedoch eine effektive Wirkung zu entfalten, muss es möglich sein, Projekte und Hilfsangebote über einen längeren Zeitraum zu planen und einzusetzen, ohne jährlich um die neuerliche Bewilligung von Geldern bangen zu müssen. Gleichzeitig braucht es auch ein Programm, das es nichtstaatlichen Initiativen ermöglicht, kurzfristige Engpässe und ähnliche Unwägbarkeiten zu überbrücken. So geschehen mit der erfolgreichen Kampagne Need NO Speed im Raum Weiden/Tirschenreuth, die erst in letzter Sekunde vor dem abrupten Ende durch den Absprung ihres bisherigen Trägers bewahrt werden konnte. Wir fordern daher die Einrichtung eines eigenen Haushaltspostens in Bayern für Drogenprävention und die Unterstützung von privaten Angeboten.
Doch nicht nur in den Städten müssen weitere Angebote geschaffen werden, auch der ländliche Raum darf mit dieser Problematik nicht allein gelassen werden. Im Gegensatz zur Anonymität der Stadt braucht es insbesondere auf dem Land Lösungen, die den Menschen Beratung und Hilfe bieten, ohne befürchten zu müssen, von der dort umso wichtigeren Teilhabe an der Gesellschaft ausgeschlossen oder stigmatisiert zu werden. Wir fordern daher die nachhaltige Einrichtung und regional wirksame, breite Bewerbung weiterer Beratungsmöglichkeiten im ländlichen Raum mit besonderer Berücksichtigung verstärkt betroffener Gebiete.
Wenn jede Prävention versagt und ein Mensch drogensüchtig wird, hinterlässt der Konsum früher oder später seine Spuren – vor allem für ein medizinisch geschultes Auge sind diese schneller und besser erkennbar. Allgemeinärzte können bei Anzeichen von Drogenkonsum bei ihren Patienten Beratungsgespräche in einem vertraulichen Rahmen anbieten und so die ersten Schritte hin zur Wahrnehmung eines Hilfsangebots oder einer entsprechenden Behandlung fördern und begleiten. Dazu braucht es aber entsprechende monetäre und systemische Anreize, damit Allgemeinärzt*innen die Möglichkeit für diese zusätzliche Aufgabe auch wahrnehmen können und wollen. Wir fordern daher eine Möglichkeit der Abrechnung von Erstberatungs- und Suchtberatungsgesprächen für Allgemeinärzt*innen.
Wir Grüne begrüßen, dass Substitutionstherapien jetzt stärker durch die Ärzt*innen bestimmt werden können. Nur so kann den Konsument*innen individuell passgenau geholfen werden. Es war überfällig, die Betreuung von substituierenden Ärzt*innen rechtssicher auszugestalten. Unser Ziel ist es, dass noch mehr Ärzt*innen Substitutionsbehandlungen vornehmen, um auch in weniger dicht besiedelten Regionen Bayerns Suchtkranken die Möglichkeit zu geben, ein Leben ohne Sucht zu führen. Ferner muss sichergestellt werden, dass die Nachsorge von ehemaligen Suchtkranken so gestrickt ist, dass sie möglichst schnell wieder umfassend am gesellschaftlichen Leben teilhaben können.
Unabhängig von der Frage der Legalität sind Drogen auch in Bayern sehr verbreitet. Deren Zusammensetzung ist jedoch häufig unklar, sodass die Wirkung regelmäßig nicht oder nur unzureichend eingeschätzt werden kann oder Menschen unerwünschte Substanzen zu sich nehmen. Drug Checking soll Konsument*innen ermöglichen, Drogen auf ihre Wirkstoffe chemisch analysieren zu lassen. Sie können dadurch Risiken einschätzen und unbeabsichtigte Wirkungen vermeiden. Um DrugChecking modellhaft einzuführen, wollen wir als ersten Schritt Rechtssicherheit dafür schaffen.
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