Aus den Augen von Claudia Roth und Doris Kienle – ein Interview von der Frauenreferentin Ina Machold
Claudia Roth ist seit 1998 Bundestagsabgeordnete, seit 2013 ist sie Vizepräsidentin des Bundestags. Von 2001 bis 2002 und von 2004 bis 2013 war Claudia bundesweite Parteivorsitzende der Grünen. Claudia setzt sich seit Beginn ihrer politischen Laufbahn intensiv für Feminismus ein.
Doris Kienles politisches Engagement begann mit Gründung einer autonomen Frauengruppe und eines Frauenzentrums in Memmingen. Seit 1990 ist sie Fraktionsvorsitzende des Kreistages Unterallgäu.
Wart ihr schon immer Feministinnen?
Claudia: Wenn Feminismus heißt: Einsatz für gleiche Rechte und gerechte Teilhabe, für die unantastbare Würde aller Menschen, für eine gerechte Welt in Frieden und Freiheit – dann ja. Das haben mir meine Eltern, aber auch meine Großmutter früh mitgegeben.
Doris: Ich glaube, ich bin schon immer Feministin. Als sich 1976 in Memmingen vier Frauengruppen zum neuen Scheidungsgesetz gegründet haben, war meine Gruppe die autonome. Wir wollten, dass uns niemand sagt, woʼs langgeht. Für diese Autonomie habe ich immer gekämpft. Und das ist wohl so in mir angelegt. Ich fand gar nicht, dass ich Feministin bin, weil mein Widerstand gegen Bevormundung so ein klares Gefühl war, aber die anderen haben mir das immer gesagt.
Wenn ihr an die Anfänge des grünen Feminismus zurückdenkt: Was waren die wichtigsten Themen und Debatten?
Doris: Angefangen hat alles mit den Paragraf-218-Prozessen. Da war ich noch gar nicht bei den GRÜNEN, aber es war klar, dass die mir am nächsten standen. Als ich dann im Kreistag war, habe ich vehement darauf bestanden, dass man die Sprache gendert. Der Landrat hat dann schnell kapiert, wie ich drauf bin. Dass Frauen sichtbar sind und ihren Raum einfordern in ihren Beziehungen, in der Sprache und überall, das ist mir ein ganz wichtiges Anliegen.
Claudia: Mit den Feministinnen wurde das Private politisch: Abschaffung von Paragraf 218, Kampf gegen Gewalt gegen Frauen, Straffähigkeit von Vergewaltigung in der Ehe. Auch der erste Entwurf eines Antidiskriminierungsgesetzes war prägend. Und dann war da noch die schwierige, aber erfolgreiche Debatte um eine Quotenregelung bei den GRÜNEN. Die hatte gesamtgesellschaftlich große Strahlkraft.
Welche Frauen haben den bayerischen grünen Feminismus aus eurer Sicht entscheidend geprägt?
Claudia: Für mich gibt es da nicht die einzelne Heldin. Vielmehr sind es die Frauen überall in den Orts- und Kreisverbänden, gerade auch in den ländlichen Gebieten, die allein auf weiter Flur waren, sich aber trotzdem hingestellt und gesagt haben: Wir wollen gleiche Rechte und die Hälfte der Macht.
Doris: Mir fallen auch zuerst die vielen Frauen ein: im Kreistag, im Augsburger Frauenbüro, überall verteilt. Und natürlich war zum Beispiel Margarete Bause total wichtig. Und Claudia!
Feminismus hat ja immer auch damit zu tun, Kämpfe zu führen. Was waren eure grün-internen Kämpfe in den Anfängen?
Claudia: Als ich Mitte der 80er bei den GRÜNEN einstieg, waren schon erste feministische Strukturen vorhanden. Es gab beispielsweise die Doppelspitze. Das war wichtig, denn auch bei uns gibt kaum ein Mann freiwillig seinen Platz her. Innerhalb dieser Strukturen hatte ich dann vor allem um Augenhöhe zu kämpfen. Als Frau musstest du dich immer ein bisschen mehr beweisen, immer ein bisschen besser vorbereitet sein. Das gilt bis heute – und zeigt, dass Feminismus nie oberflächlich sein darf, sondern das System infrage stellen muss.
Doris: Mir ging das auch so. Ich bin am Weltfrauentag 1994 eingetreten, nachdem ich schon lange Kreisrätin war. Und im Kreisverband habe ich mich dann durchsetzen müssen gegen die Männer – manchmal wussten sie gar nicht, wie ihnen geschah, und ich war auf einmal vorne dran. Jetzt bin ich seit 30 Jahren Fraktionsvorsitzende. Ich hatte dann auch bald den Ruf, dass ich bei Frauenthemen keine Toleranz habe.
Was ist eure witzigste Erinnerung an die ersten Jahre eures Engagements?
Doris: Als mich der Landrat ein halbes Jahr nach Beginn der Legislatur seiner Frau vorgestellt hat, sagte sie: »Ach, SIE sind Frau Kienle!« Mich kannten irgendwie alle, weil ich immer den Mund aufgemacht und die Ordnung der Männerbünde gestört habe.
Claudia: Die Fassungslosigkeit der tiefschwarzen bayerischen Männerwelt, die war schon witzig. Selbst das Dirndl haben wir ihnen weggenommen. Die Ärmsten! Unter uns: Für mich war das Dirndl lange Zeit stoffgewordener Inbegriff rückwärtsgewandter, zugeschnürter, rüschenbesetzt-kleinkarierter Traditionshuldigung. Doch dann wurde es zum Symbol des Widerstandes: zunächst auf den CSDs, dann auch beim Oktoberfest. Eine Claudia Roth im Dirndl, das haben viele als Provokation wahrgenommen. Und letztlich war es das auch: das Versprechen, für manche die unheilvolle Drohung, dass uns dieses Bayern in all unserer Verschiedenheit und Farbenfreude so schnell nicht mehr loswird.
Und wie war das damals, grüne Frauenpolitik nach außen zu vertreten?
Claudia: Neu, sehr neu. Franz Josef Strauß war ja nicht gerade Feminist. Kinder, Küche, Kirche: Mehr sah die allgegenwärtige CSU für uns Frauen nicht vor. Unser grünes Gesellschaftsbild hingegen war emanzipativ und progressiv. Plötzlich war da eine Partei, die gezielt Rollenbilder hinterfragte, sich sogar mit der Kirche anlegte. Das war nicht einfach, aber überfällig.
Doris: Wir sind wahnsinnig angegriffen worden. Beim Paragrafen 218 auch von einigen Frauen, weil unsere Forderung nach Selbstbestimmung für diese nicht mit ihrem christlichen Weltbild zusammenpasste.
Claudia: Und als wir dann 1986 sogar in den Landtag einzogen, war das ein regelrechter Überfall – auf eine weiß-blaue, lodenbemantelte, hierarchische Männerwelt namens Maximilianeum. Erst nach und nach wurde dort vielen bewusst: Die sind gekommen, um zu bleiben. Und wir hatten einiges im Gepäck: Fortan hatten Frauen und Homosexuelle, Gefl üchtete und HIV-Positive, selbst der bayerische Bergwald eine Stimme im Landtag. Eine bunte und laute noch dazu!
Gab es auch Momente, in denen ihr alles hinwerfen wolltet?
Doris: Oh ja, öfter. Immer wenn ich das Gefühl hatte, dass wir wieder mal bei Adam und Eva anfangen müssen, wieder einmal kämpfen für eine Sache, die so selbstverständlich für mich ist. Wir müssen immer wieder aufs Neue unsere Forderungen beweisen und uns behaupten gegen die aufgeblähten Männerbünde. Da hat mich immer die Unterstützung von Freundinnen davon abgehalten, aufzugeben.
Claudia: Wir Grüne haben kräftige Niederlagen eingefahren. Auch ich persönlich. Da überlegst du natürlich: Kann ich das, schaffe ich das, will ich das? Und diese Zweifel sind wichtig. Letztlich geben sie dir die Kraft, die es braucht, um am nächsten Tag eben doch wieder aufzustehen und weiter zu streiten.
Würdet ihr sagen, es ist heute schwieriger, als grüne feministische Politikerin sichtbar zu sein?
Doris: Na ja, wir sind ja schon immer angegriffen worden. Aber was ich schrecklich finde, ist diese respektlose, schnoddrige, frauenabwertende Sprache aus den USA, die bei uns Einzug hält. Das sagt sehr viel aus über das gesellschaftliche Klima.
Claudia: Ja, es ist nicht schwieriger, aber es ist auch nicht gemütlicher geworden. Rassismus, Sexismus, Islamfeindlichkeit, Antifeminismus, Homophobie – das alles besteht ja weiter. Es wird gezielt vorangetrieben von rechtsnationalen Parteien und religiös-fundamentalistischen Bewegungen und wirkt tief hinein in die gesamte Gesellschaft.
Doris: Und was ich überhaupt nicht begreife, ist, wie Frauen das gut finden und diese Bewegungen unterstützen können.
Claudia: Umso entschiedener müssen wir unsere Kämpfe solidarisch verbinden – die Feminist*innen und die Umweltbewegung, die antirassistischen Initiativen und die LGBTIQ*-Community. Nicht umsonst heißt es: one struggle, one fight. Wir müssen querdenken, intersektional handeln – und sind noch lange nicht am Ziel.
Hattet ihr eigentlich feministische Vorbilder? Und welche Vorbilder gibt es heute für junge grüne Frauen?
Claudia: Für mich waren Künstlerinnen wie Frida Kahlo, Schriftstellerinnen wie Doris Lessing, Vorkämpferinnen wie Rosa Luxemburg unheimlich wichtig. Frauen, die aufgestanden sind und Ungerechtigkeit einfach nicht hingenommen haben. Und diese Frauen gibt es auch heute noch. Von Kimberlé Crenshaw bis Kübra Gümüşay – wer Vorbilder sucht, wird sie finden!
Doris: Für mich sind das die Frauen im grünen Bundesfrauenrat. Wie die in ihren Beziehungen gelebt und ihre feministischen Ideen politisch durchgesetzt haben, das hat mich sehr geprägt. Das hat mir auch immer Kraft gegeben und Mut gemacht.
Zum Abschluss ein Blick in die Glaskugel: Wenn ihr unsere letzten 40 Jahre grünen Feminismus anschaut – wo werden wir wohl in 40 Jahren stehen?
Claudia: Ich hoffe: am Ende erfolgreicher Kämpfe. Ich befürchte: am Beginn und inmitten weiterer. Solange das Selbstverständliche nicht endgültig selbstverständlich ist, streiten wir weiter!
Doris: Ich hoffe, dass es uns dann endlich gelingt, alle grünen Themen, egal ob Klimaschutz, Pflege oder Gewalt, aus feministischer Sicht zu betrachten. Nicht mehr überwiegend aus Männersicht, weil das so viel kaputt gemacht hat. Ich will mehr als 50 Prozent, weil ich glaube, dass die Machtverhältnisse sich drehen müssen, wenn wir die Welt retten wollen.
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