Coronakrise

20-Punkte-Plan: Mit Weitblick durch die Coronakrise

Die Grüne Fraktion im Bayerischen Landtag legt ein umfassendes Grundsatzpapier zur Eindämmung der Coronakrise vor. Dieses Papier enthält Forderungen und Vorschläge für kurz-, mittel- und langfristige Hilfsmaßnahmen in den verschiedenen betroffenen Politikfeldern.

Strichgrafiken: Ein Krankenhaus, eine Atemschutzmaske, die Flagge der Europäischen Union, ein Vorhängeschloss in einer Wolke als Symbol für IT-Sicherheit, eine Hand mit Geldscheinen – all diese Elemente (und mehr) spielen eine Rolle im 20-Punkte-Plan der grünen Landtagsfraktion zur Bekämpfung der Coronakrise

Unser gemeinsames Ziel ist es, die Ausbreitung des Virus zu verlangsamen und die negativen Auswirkungen auf die Gesellschaft, das öffentliche Leben und die Wirtschaft abzufedern. Die Krise hat einschneidende wirtschaftliche und soziale Folgen und trifft nahezu alle Schichten unserer Bevölkerung. Deswegen braucht es in enger Abstimmung mit dem Bund, der EU und den Kommunen vor Ort verschiedenste zusätzliche Maßnahmen. Das Gesundheitssystem muss massiv unterstützt werden. Es ist das Fundament für die erfolgreiche Bekämpfung der Coronakrise. Hilfen brauchen darüber hinaus unsere Wirtschaft mit ihren hunderttausenden Beschäftigten, unser Kulturbetrieb, unsere Städte und Gemeinden und alle, die durch die Coronakrise finanzielle Verluste erleiden. Gleichzeitig müssen wir den Zusammenhalt in unserer Gesellschaft stärken und mit wachsamem Auge darauf achten, dass zentrale Grund- und Freiheitsrechte gewahrt bleiben.

Wir alle hoffen, dass diese Krise in absehbarer Zeit auch wieder zu Ende geht. Vorausschauende Politik muss deshalb jetzt für die Zukunft planen und künftige Investitionen in ein sozial-ökologisches Konjunkturprogramm ins Auge fassen.

 

20 Punkte für den Weg aus der Coronakrise:

 

Der Kampf gegen das Coronavirus ist ein Gemeinschaftswerk. Die Ausbreitung kann nur in enger Kooperation von Bund, Ländern, Kommunen und der EU eingedämmt werden. Der Schutz der Gesundheit der Bevölkerung steht dabei an oberster Stelle. Solidarität ist Voraussetzung für gemeinschaftliches Handeln. Der Freistaat hilft besonders betroffenen Regionen (z.B. durch Aufnahme von Patient*innen oder Lieferung von medizinischen Gütern) und unterstützt die Bemühungen der EU-Kommission um ein koordiniertes Vorgehen. Mögliche Strategien für die Zeit nach der Pandemie müssen gemeinsam mit der Wissenschaft entwickelt werden, ein festes Exit-Datum kann jetzt noch nicht benannt werden. Das Ergebnis muss allen Bürger*innen transparent kommuniziert werden.
Am besten Testen: Wir fordern die Aufstockung der Testkapazitäten in allen Landkreisen, mobile Teststationen bayernweit, zusätzliches Personal in den Gesundheitsämtern; außerdem müssen alle verfügbaren und geeigneten Labore schnellstmöglich für Coronatests ertüchtigt werden. So können wir nicht infizierte Personen zielgerichteter schützen, die Krankenhäuser und ihr Personal besser vorbereiten und der Wissenschaft eine bessere Datengrundlage zur Verfügung stellen. Außerdem fördert der Freistaat die Entwicklung von Virus-Schnelltests und neuen Untersuchungsmethoden. Dazu fordern wir einen Bericht im nächsten Gesundheitsausschuss.
Der Schutz von medizinischem und pflegerischem Personal sowie von Polizei, Feuerwehr und Rettungskräften, hat höchste Priorität. Diese Menschen halten unsere Gesellschaft am Laufen und dürfen selbst nicht erkranken. Der Freistaat muss alle Anstrengungen unternehmen, um ausreichend Schutzmaterial bereitzustellen und die Verteilung gerecht in allen Bereichen sicherzustellen. Vor allem Masken, Desinfektionsmittel und Schutzanzüge müssen in allen Gesundheitseinrichtungen, bei Polizei, Feuerwehr, Rettungskräften, sowie ambulante Pflegedienste und Seniorenheime, sowie niedergelassene (Zahn)ärzt*innen und Heilmittelerbringer*innen umfassend und schnellstmöglich verfügbar sein.
Für alle Menschen, die in Einrichtungen im ärztlichen und pflegerischen Bereich jetzt ihre eigene Gesundheit aufs Spiel setzen, um das Leben anderer zu retten, fordern wir eine monatliche Gefahrenzulage von bis zu 500 Euro (drei Euro pro Stunde). Zusätzliche Vergünstigungen wie kostenlose Mahlzeiten und Getränke in den Kliniken sind willkommen und müssen steuerneutral bleiben.
Der Kampf gegen die Coronakrise genießt in unseren Krankenhäusern höchste Priorität. Gleichzeitig muss die medizinische und pflegerische Grundversorgung der gesamten Bevölkerung auch bei allen anderen Krankheitsbildern und in akuten Fällen gewährleistet bleiben. Wichtige Behandlungen dürfen nicht aufgeschoben werden. Deswegen ist eine rein zahlenmäßige Erhöhung von COVID19-Fachpersonal alleine nicht ausreichend. Das Gesundheitsministerium muss schnellstmöglich in Kooperation mit den Berufsfachschulen geeignete Schulungskonzepte, zur Nachschulung des eingesetzten und neu gemeldeten Personals, allen voran im Bereich der Intensivmedizin und des Beatmungsmanagements entwickeln.
Gemeinnützige Einrichtungen und Organisationen (z.B. Jugendherbergen, freie Träger der Kinder- und Jugendhilfe) wie auch Sozialunternehmen müssen jetzt ebenfalls unbürokratisch und schnell staatliche Unterstützung erhalten. Für soziale Dienste, die durch das Sozialschutzpaket des Bundes nicht in ihrer Existenz abgesichert sind, braucht es zusätzliche Anstrengungen auf Landesebene. Nur so kann das Fortbestehen unserer sozialstaatlichen Infrastruktur sichergestellt werden.
Der Freistaat setzt sich auf Bundesebene dafür ein, die Regelsätze nach ALG II mit Wirkung zum 1. April 2020 und zunächst befristet bis zum Jahresende 2020 um mindestens 20 Prozent anzuheben, um die steigenden Lebenshaltungskosten, den Wegfall von Tafeln, kleinen Zuverdiensten u.a. für Menschen ohne finanzielles Polster zu kompensieren. Dies muss auch für befristete Angestellte, deren Vertrag vor Ende der Infektionsschutzmaßnahmen endet, Saisonkräfte und Menschen im Minijob gelten.
Ausgangsbeschränkungen steigern das Risiko für Konflikte wie häusliche Gewalt gegen Frauen, Kinder und Jugendlichen sowie seelische Störungen bis hin zu Suiziden. Die Kommunen brauchen deshalb dringend finanzielle und organisatorische Hilfe für mehr Plätze in Frauenhäusern. Wenn keine andere staatliche Unterbringung möglich ist, können dazu auch Hotels, Pensionen oder Ferienwohnungen umgewidmet werden. Außerdem braucht es mehr gezielte Beratungsangebote und eine massive Ausweitung der Telefon- und Onlineseelsorge. Kinderschutz muss als systemrelevant eingestuft werden, damit die wichtige Arbeit von Jugendämtern und Erziehungshilfen aufrecht erhalten bleibt.
Der Freistaat unterstützt die Kommunen dabei, für Obdach- und Wohnungslose und Geflüchtete zusätzliche, dezentrale Räume zu akquirieren, um die Belegungsdichte in bisherigen Unterkünften zu reduzieren. Außerdem wird ein Bayerisches Sofortaufnahmeprogramm schnellstmöglich in die Wege geleitet um mindestens 500 besonders vulnerable Personen aus den Flüchtlingslagern auf den griechischen Inseln zu holen. Solidarität endet für uns nicht an der Landesgrenze!
Auch die Gemeinden, Städte, Landkreise und Bezirke treffen die Steuerausfälle sowie die Schließung vieler Einrichtungen hart. Sie werden im laufenden Jahr massive Einbußen bei ihren Hauptfinanzierungsinstrumenten Gewerbesteuer und Umlage erleiden, müssen aber gleichzeitig die Grundversorgung ihrer Bürgerinnen und Bürger z.B. mit Energie, Mobilität und kommunalen Dienstleistungen sicherstellen. Der Freistaat stellt finanzielle Unterstützung über den kommunalen Finanzausgleich hinaus zur Verfügung, damit die kommunale Daseinsvorsorge in Bayern nicht gefährdet wird.
Der Freistaat setzt sich auf Bundesebene dafür ein, dass ein “Sicher-Wohnen-Fonds" bei der KfW-Bank eingerichtet wird. Mit diesem Fonds sollen Mieter*innen mit krisenbedingten Einkommensausfällen finanzielle Unterstützung erhalten und so ein Ausgleich zwischen Mieter*innen und Vermieter*innen geschaffen werden.
Der Freistaat setzt sich auf Bundesebene dafür ein, Kinderkrankengeld, Pflegeurlaub bzw. Pflegefreistellung und den Kündigungsschutz zu erweitern, um Eltern während der Schul- und Kitaschließungen vor Nachteilen zu schützen. Für Unternehmen sind Ausgleichszahlungen vorzusehen. Zusätzlich werden zur Entlastung der Eltern für die Corona-bedingten Schließzeiten der Kinderbetreuungseinrichtungen bayernweit die Elternbeiträge erlassen. Für die Einnahmeausfälle von Kommunen und Einrichtungsträgern kommt der Freistaat nach dem Vorbild Baden-Württembergs auf.
Auch in Krisenzeiten muss Bildungsgerechtigkeit gewahrt bleiben. Bei Online-Homeschooling muss sichergestellt sein, dass alle Schüler*innen die gleichen Zugangsmöglichmöglichkeiten haben, so dass bei Wiederaufnahme des Präsenzunterrichtes Wissensunterschiede nicht noch größer sind. Alle Schüler*innen brauchen mobile Endgeräte und müssen diese bei Bedarf gestellt bekommen. Dafür müssen notfalls auch Gelder aus dem DigitalPakt Schule verwendet werden. Die Schulen brauchen zudem stabile und datenschutzkonforme Kommunikationskanäle, um mit Schüler*Innen, Eltern und Kolleg*Innen zu kommunizieren. Dafür muss zum Einen die Serverkapazität bei mebis so ausgebaut werden, dass mebis stabil und sicher läuft. Zum Anderen braucht es eine Klarstellung, welche anderen Kommunikationskanäle datenschutzrechtlich unbedenklich und damit im Schulalltag nutzbar sind. Wir möchten das Sommersemester 2020 zu einem Solidaritätssemester machen, in dem Studierenden keine Nachteile durch das Nichtablegen von Prüfungen entstehen. Gerade viele Studierende mit geringen finanziellen Mitteln sind auf Nebenjobs in der Gastronomie und ähnlichen volatilen Branchen angewiesen – sie sollen in den Schutzschirmen des Freistaats auch Platz finden.
Die Staatsregierung muss sicherstellen, dass die zum Erliegen gekommenen Lieferketten in Industrie und Handel schnellstmöglich wiederaufgebaut werden. Helfen können hier vereinfachte Zollverfahren für den internationalen Warenverkehr, unbürokratische Kooperationsabkommen mit Partnerländern und das Aufrechthalten des innereuropäischen Warenverkehrs. Die kurzfristige Isolation räumlich begrenzter Gebiete kann sinnvoll sein und ist als Schutzmaßnahme dauerhaften Grenzschließungen vorzuziehen. Die Notwendigkeit derzeitiger Grenzschließungen ist unverzüglich zu evaluieren und die innereuropäischen Grenzen sollen schnell wieder geöffnet werden.
Landwirtschaftliche Saisonarbeitskräfte erledigen wichtige Pflanz-, Pflege- und Erntearbeiten und gelten als systemrelevant für die Lebensmittelerzeugung und die Lebensmittelverarbeitung. Für sie muss die Freizügigkeit innerhalb der Europäischen Union gewahrt bleiben. Dazu sollen die Empfehlungen der Leitlinien der Europäischen Union umgesetzt und spezifische Verfahren für einen reibungslosen Grenzübertritt für die betreffenden Grenzgänger*innen eingeführt werden. Natürlich müssen die landwirtschaftlichen Arbeitgeber für den Gesundheitsschutz der Arbeitskräfte sorgen. Dafür braucht es Unterkünfte mit hohen Hygienestandards und Arbeitsbedingungen, die eine Ansteckung verhindern. Dieser Gesundheitsschutz muss auch für die vielen inländischen Arbeits- und Hilfskräfte gelten, die sich über die landwirtschaftlichen Plattformen melden. Geflüchteten, die für landwirtschaftliche Saisonarbeit eine Arbeitserlaubnis erhalten, soll diese dauerhaft gewährt bleiben. Für sie sollen die geltenden Arbeitsverbote nach dem Einsatz dauerhaft aufgehoben werden.
Die Staatsregierung setzt sich auf Bundesebene dafür ein, dass tiefe Eingriffe in Grund- und Freiheitsrechte nicht oder nur unter strikten Auflagen genehmigt werden, zeitlich begrenzt sind, und der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewahrt bleibt. Unsere Grundrechte dürfen auch in Krisenzeiten nicht ausgehöhlt werden. Es muss sichergestellt werden, dass der Datenschutz weiterhin Priorität genießt und der Einsatz von Überwachungsmethoden einen legitimen öffentlichen Zweck verfolgt und überdies geeignet, erforderlich und verhältnismäßig ist.
Die Information der Öffentlichkeit über Massenmedien (TV, Radio, Tageszeitungen, Internet) erweist sich in der Coronakrise als herausragend wichtig. Wir benötigen gerade jetzt verlässliche und unabhängige Informationen und eine journalistische Bewertung und Einordung der Lage. Gleichzeitig leiden unsere Zeitungsverlage unter sinkenden Werbeeinnahmen und sind gezwungen, ihre Mitarbeitenden auf Kurzarbeit zu setzen. Dabei ist Medienvielfalt gerade in der Krise für eine funktionierende Demokratie unerlässlich. Der Freistaat stellt daher für die bayerischen Verlage, Medienanbieter und freien Journalist*innen die notwendigen Mittel bereit, um Arbeitsplätze zu sichern. Gleichzeitig müssen journalistische Inhalte aufgewertet und Desinformationskampagnen stärker als bisher bekämpft werden.
Gute Kommunikation und Transparenz sind der Schlüssel für die Akzeptanz der notwendigen staatlichen Maßnahmen in der Coronakrise. Alle Informationen und Anordnungen müssen deshalb barrierefrei, in Gebärdensprache, in Leichter Sprache und in mehreren Sprachen vorliegen. Der Freistaat Bayern überlegt sich weitere Kommunikationswege, beispielsweise per Warn-SMS an alle Bürger*innen, und wie man eine stärkere Verbreitung der NINA (Notfall-Informations- und Nachrichtenapp) voranbringen kann. Die bereits verbreiteten Hygiene- und Schutzmaßnahmen müssen weiter verteilt werden, mit dem klaren Hinweis, dass dies bitte an allen Arbeitsplätzen umgesetzt werden muss, um Infektionsketten zu vermeiden. Schutzmaßnahmen für Kassierer*innen und Lagerist*innen müssen zwingend umgesetzt werden.
Wenn die Krise beendet ist, muss das staatliche Handeln in der Akutphase aufgearbeitet werden. Zu analysieren sind alle ergriffenen Maßnahmen und der Zeitpunkt, wann diese in Kraft traten. Wir fordern zudem eine umfangreiche Analyse der Stärken und Schwächen des Gesundheitswesens in Bezug auf die Krisenbewältigung und die Pandemie-Pläne in Bayern, um daraus Verbesserungen abzuleiten. Zur langfristigen Stärkung unseres Gesundheitssystems ist auch die bessere Bezahlung der Mitarbeitenden in Care-Berufen unerlässlich. Die Anerkennung, die ihnen in der Coronakrise zuteilwurde, muss sich auch anschließend auf dem Gehaltszettel niederschlagen. Moderne Techniken (eHealth und digitale Epidemiologie) müssen in Bayern weiterentwickelt werden, um die Verbreitungswege von Infektionskrankheiten besser zu verstehen und künftig besser gewappnet zu sein.
Zur Stärkung der Wirtschaft werden nach der Krise Konjunkturprogramme notwendig sein. Anders als nach der Finanzkrise 2009 (Beispiel Abwrackprämie) sollen die entsprechenden Mittel aus dem Staatshaushalt zielgerichtet in sozial-ökologische Zukunftsprojekte fließen. Wir wollen diese Zukunftsinvestitionen für eine gerechtere Welt und den Erhalt unserer natürlichen Lebensgrundlagen im Sinne des Green New Deals einsetzen.

 

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